Kreis Steinfurt auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2040: Bürgerwind als zentraler Baustein

14. Juli 2023: Von Ursula Wermelt, Projektkoordinatorin, energieland2050 e.V., und Marcel Schwarte, Sachgebietsleiter der Unteren Immissionsschutzbehörde, Kreis Steinfurt

Der Kreis Steinfurt hat sich das ehrgeizige Ziele gesetzt, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu werden und damit einen wichtigen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch im Kreis Steinfurt lag im Jahr 2022 bereits bei rund 65 Prozent. Grundlage für diese positive Entwicklung sind die frühzeitige Implementierung fester Strukturen und die Definition klarer Prozesse in der Kreisverwaltung, der Aufbau starker Netzwerke und langjährige Bürgerbeteiligungsformate. Landrat Dr. Martin Sommer hat Klimaschutz zu seinem Schwerpunkt erklärt und in seinem Dezernat angesiedelt. Sein Ansatz: „Ein Schlüsselfaktor für unsere Erfolge im Bereich der Windenergie war, die Bürgerinnen und Bürger früh und direkt zu beteiligen und damit für Akzeptanz und regionale Wertschöpfung zu sorgen“.
Die Grundlagen dafür wurden schon vor über zehn Jahren mit dem Masterplan Wind, der Servicestelle Wind und den Leitlinien für Bürgerenergie geschaffen. Letztere wurden aktuell überarbeitet und erweitert. Darüber hinaus wurde eine kreisweit tätige Bürgerenergiegenossenschaft neu gegründet.

Ausbau der Erneuerbaren Energien im Kreis Steinfurt von 2010 bis 2022 (Stand 05.01.2023)
Quelle: Kreis Steinfurt

Erfolgsgeschichte Bürgerwind
Im Kreis Steinfurt drehen sich gut 300 Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von etwa 600 Megawatt (Stand 2022). Der bereits 2011 beschlossene Masterplan Wind legte die Grundlage dafür, dass der Ausbau der Windenergie im Kreis Steinfurt ausgewogen, transparent und mit hoher Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger erfolgt ist. Begleitet durch die Aufstellung einer „Ampelkarte“, die eine artenschutzfachliche Betrachtung potentiell geeigneter Flächen enthielt, sowie mit der Festlegung von „Leitlinien für Bürgerwind“ wurde deutlich: die Windpotenziale im Kreis Steinfurt sollen von und mit den Landwirten sowie weiteren regionalen Akteuren entwickelt werden. Ziel war und ist es, den lokalen und sozialen Zusammenhalt zu bewahren und die regionale Wertschöpfung zu stärken. Dieser Ansatz wurde seitdem konsequent und erfolgreich verfolgt: Gemeinsam und unter Einbindung aller Gruppen im Umfeld sind zahlreiche Bürgerwindparks mit direkter finanzieller Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Kreis Steinfurt entstanden. Zu den beteiligten Gruppen gehören dabei Flächeneigentümerinnen und -eigentümer, Anwohnerinnen und Anwohner, Landwirtinnen und Landwirte, ortsansässige Bürgerinnen und Bürger, ehrenamtlicher Naturschutz, regionale Banken und lokale Unternehmen, kreisangehörige Städte und Gemeinden sowie kommunale Einrichtungen wie die Stadtwerke.


Engagierte Akteure in der Gemeinde Neuenkirchen.
Quelle: Bürgerwindpark Neuenkirchen

Leitlinien für Bürgerenergie – neue Version und Zertifizierung
Die Leitlinien Bürgerwind setzen bis heute bundesweit Maßstäbe und enthalten unter anderem Vorgaben zum Mindestanteil des Eigenkapitals „in Bürgerhand“ und zur direkten finanziellen Beteiligung. Diese ist mit 1.000 Euro für Windprojekte bewusst niedrig gewählt, um eine möglichst breite und faire Teilhabe zu ermöglichen. Der positive Effekt für die regionale Wirtschaft ist deutlich messbar: So wurden seit 2016 zehn Bürgerwindparks mit einer Gesamtinvestition von 300 Millionen Euro realisiert. Über 3.500 Menschen aus der Region sind mit ihrem Eigenkapital beteiligt. Neben direkter Renditen entsteht Wertschöpfung auch in den Bereichen Arbeitsplätze, Anlagenbetrieb und Instandhaltung bis hin zur Verfügbarkeit von regionalem Ökostrom für die Bürgerinnen und Bürger. Die Leitlinien für Bürgerwind wurden 2022 aufgrund neuer Rahmenbedingungen und verschärfter Klimaschutzziele aktualisiert und enthalten nun auch Bestimmungen für die Umsetzung von Bürger-Photovoltaikprojekten. Die Leitlinien sind gemeinsam mit den Vertretern von Kreis und Kommunen, der Landwirtschaft, des Naturschutzes, der Stadtwerke, den Windparkbetreibern und dem energieland2050 e.V. erarbeitet worden. Ziel ist, die Entscheidungskompetenz vor Ort zu halten sowie wirtschaftliche, soziale und naturschutzfachliche Interessen gleichermaßen und angemessen zu berücksichtigen.
Noch in 2023 wird eine Zertifizierung für leitlinienkonforme Bürgerwindparks entwickelt. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Abgrenzung und Sicherung des besonders hohen Anspruchs. Eine verlässliche Zertifizierung gibt den Kommunen Orientierung und dient damit der Akzeptanz und Sichtbarkeit der vielen guten Projekte im Kreis Steinfurt.


Kreis Steinfurt Leitlinien für Bürgerenergie.
Quelle: Kreis Steinfurt

Gründung einer kreisweit tätigen Bürgerenergiegenossenschaft – Die Energieland Kreis Steinfurt Bürgerenergiegenossenschaft eG
Im Dezember 2022 wurde die Bürgerenergiegenossenschaft „Energieland Kreis Steinfurt Bürgerenergiegenossenschaft eG“ gegründet. Mit der “EKSBEG“ wird das Angebot zur Beteiligung an der lokalen Energiewende im Kreis Steinfurt noch weiter ausgebaut. Ziel der Genossenschaft ist dabei laut Satzung:

  • a) die Errichtung, der Betrieb und die Unterhaltung von Anlagen zur Erzeugung, Speicherung und Verteilung erneuerbarer Energien,
  • b) die aktive Beteiligung am Klimaschutz, zum Beispiel durch die Unterstützung von Klimaschutzprojekten.

Die Bürgerenergiegenossenschaft hat per Satzung geregelt, nur Projekte entlang der Leitlinien für Bürgerenergie zu realisieren bzw. sich an diesen zu beteiligen. Die Genossenschaft bietet den Menschen im Kreisgebiet ein niedrigschwelliges Angebot zur finanziellen Beteiligung. In Zukunft können damit auch z. B. Wind-Repoweringvorhaben zu echten Bürgerwind-Projekten werden, indem die EKSBEG definierte Anteile am Eigenkapital übernimmt und durch Mitglieder finanziert.


Öffentliche Bürgerversammlungen informieren Bürgerinnen und Bürger.
Quelle: Bürgerwindpark Neuenkirchen

Breite Unterstützung der Windenergie im Kreis Steinfurt
Die Arbeit im Bereich Windenergie - und somit für mehr Klimaschutz - ist im Kreis Steinfurt von einer langjährigen, engagierten Unterstützung der Kreispolitik, der Kommunen und der Verwaltung geprägt. Bereits seit über zehn Jahren ist das Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit fester Bestandteil der Verwaltungsstruktur und direkt dem Dezernat des Landrates zugeordnet. So werden kurze Entscheidungsprozesse ermöglicht und deutlich gemacht: Klimaschutz ist beim Kreis Steinfurt Chefsache!
Bereits 2012 wurde die erste Servicestelle Windenergie mit EU- und NRW-Landesmitteln (LEADER) geschaffen und ist im energieland2050 e. V. des Kreises Steinfurt eingerichtet. Als wichtige Beratungs- und Informationsstelle hat sie zum Ziel, im Sinne von Bürgerwind zu unterstützen, zu beraten und zu vernetzen.

Beschleunigung der Genehmigungsverfahren durch zentrale Koordinationsstelle
Für die ambitionierten und notwendigen Klimaschutzziele hat die Bundesregierung neue gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen. Die Kreisverwaltung Steinfurt setzt verschiedene organisatorische Maßnahmen um, die zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, insbesondere im Bereich Windenergie, beitragen sollen. In erster Linie wurden dabei strenge Regeln der Zuständigkeit eingeführt.
Anfragen bzgl. aller Rechtsbereiche zu Vorhaben, die sich noch im Planungsstatus befinden, werden auf einer Windenergie-Koordinationsstelle gebündelt, die bei der Sachgebietsleitung der Unteren Immissionsschutzbehörde verortet ist. Hierüber werden sodann Prioritäten gebildet und Ressourcen geplant. Zudem können Doppelarbeiten vermieden und Grundsatzentscheidungen bei wiederkehrenden Fragestellungen getroffen werden.
Es werden darüber hinaus Abstimmungstermine mit den Planenden zu verschiedenen Stadien der Planung angeboten, sodass frühzeitig Missverständnisse und Unklarheiten ausgeräumt werden können.
Demnach steigt auch die Qualität der eingereichten Antragsunterlagen, wodurch wiederum der Arbeitsaufwand der Verfahrensstelle verringert wird. Sobald sich die Vorhaben im Verfahren befinden, wechselt die Koordinierung der Verfahren und somit die Bündelung der Themen zu den Mitarbeitenden der Verfahrensstelle. Jegliche Kommunikation wird dann über diese Mitarbeitenden gesteuert. Als Kommunikationsschnittstellen haben diese einen immer aktuellen und vollständigen Überblick über die laufenden Verfahren. So können Frage- und Problemstellungen gebündelt werden und die Antragstellenden haben nur eine Kontaktperson im Verfahren. Darüber hinaus finden regelmäßige Abstimmungstermine der Träger öffentlicher Belange der Kreisverwaltung zum Thema Windenergie statt. Es werden gemeinsame Austauschordner verwendet, in denen neben den aktuellen Antragsunterlagen aller Verfahren auch Grundsatzentscheidungen festgehalten werden.

Ausblick
Der Kreis Steinfurt hat sich mit dem Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2040 ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Die Zielerreichung wird nur gelingen, wenn der eingeschlagene Weg einer starken Bürgerbeteiligung konsequent weiterverfolgt wird. Davon zeigt sich Landrat Dr. Martin Sommer überzeugt. Die aktuellen Weltgeschehnisse, insbesondere der Ukrainekrieg, die konsequente Umstellung auf erneuerbare Energien und die immer deutlicher werdende Klimakrise machen eine schnelle Umsetzung der gesetzten Ziele umso notwendiger.

Ursula Wermelt
Quelle: Kreis Steinfurt
Marcel Schwarte