Zwischenbilanz des Kreises Euskirchen: Der Wiederaufbau wird Jahre dauern

15. Juli 2022: Von Heike Schneider, Leiterin der Stabsstelle Wiederaufbau, Kreis Euskirchen

Durch die Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021 haben im Kreis Euskirchen 26 Menschen ihr Leben verloren. Die materiellen Schäden werden über 1 Mrd. Euro hinausreichen. Die dramatischen Ereignisse haben darüber hinaus bei vielen neben körperlichen Verletzungen zu Traumatisierungen geführt. Hilfen und Unterstützung für die Betroffenen werden sicherlich noch über einen längeren Zeitraum benötigt. Innerhalb der betroffenen Orte und über die Region hinaus ist immer noch eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft spürbar, die den Menschen das Gefühl gibt, nicht vergessen zu werden. Das ist wichtig, weil der Wiederaufbau einer gemeinsamen Kraftanstrengung der Menschen, vor allem aber auch weiterhin der Unterstützung durch das Land und den Bund bedarf.

„Heute, ein Jahr nach der Katastrophe, ist der Wiederaufbau bereits deutlich vorangeschritten“, sagt Landrat Markus Ramers. „Unmittelbar nach der Flut hätte ich nicht gedacht, dass wir in einem Jahr schon so weit sind. Doch es gibt bereits im ganzen Kreis Lichtblicke, Orte, an denen die Schäden weitgehend behoben sind und das Leben zurückkehrt.“ Dennoch: „Der Wiederaufbau wird Jahre dauern.“

Die Erft, die ansonsten beschaulich durch das malerische Bad Münstereifel plätschert, hat sich in der Flutnacht in kürzester Zeit zu einem reißenden und alles zerstörenden Fluss entwickelt. Am Morgen danach war Bad Münstereifel nicht wiederzuerkennen. Ein Jahr danach ist der Wiederaufbau weit fortgeschritten, mittlerweile hat auch ein Großteil des City-Outlets wiedereröffnet.
Quelle: Michael Nielen (BAM21) / Wolfgang Andres (BAM22)

Im Gegensatz zu anderen Regionen wurde der Kreis Euskirchen von der durch das Tief „Bernd“ ausgelösten Unwetterkatastrophe flächendeckend getroffen. In allen elf kreisangehörigen Städten und Gemeinden sind sowohl Schäden an öffentlicher Infrastruktur, als auch an Privateigentum entstanden. Zahlreiche Wohnhäuser wurden stark beschädigt und sind z.T. immer noch nicht (vollständig) oder dauerhaft nicht bewohnbar. Manche der ehemaligen Bewohner*innen leben aktuell in Ersatzunterkünften. Dazu zählen auch Tiny-Häuser. In anderen Fällen nutzen die Betroffenen das obere Geschoss ihres Hauses, weil das Erdgeschoss noch im Rohbauzustand und ohne Heizung ist. Die Versorgung mit Strom und Trinkwasser ist inzwischen flächendeckend wieder sichergestellt.

Unmittelbar nach der Katastrophe wurden im Kreis Euskirchen mehr als 10.000 Anträge auf Soforthilfe zur Abmilderung der ersten finanziellen Belastungen, die durch die entstandenen Schäden verursacht wurden, gestellt. Zum Wiederaufbau von beschädigten Gebäuden und Gegenständen auf der Grundlage der Förderrichtlinie Wiederaufbau NRW haben Privathaushalte im Kreis Euskirchen seit September 2021 rund 5.600 Anträge gestellt, die zur Auszahlung von Fördermitteln in Höhe von insgesamt rund 177 Mio. € geführt haben (Stand: 01.07.2022). Damit kommt knapp 1/3 der in NRW gestellten Anträge von Betroffenen aus dem Kreis Euskirchen.

Um privat Betroffene bei der Beantragung der Wiederaufbauhilfen zu unterstützen, haben Kreis und Kommunen vor Ort Beratungsstellen eingerichtet. Seit September sind dort rd. 6.000 Beratungen durchgeführt worden. Bis zum 30.06.2023 ist weiterhin die Beantragung von Wiederaufbauhilfen möglich. Weitere Beratungen erfolgen u. a. durch die Wohlfahrtsverbände, die auch Hilfe bei psychologischen oder weiteren Problemen anbieten.

Die Schäden an öffentlicher Infrastruktur sind noch nicht vollständig erfasst. Für den Kreis Euskirchen wird ein Volumen von rd. 1 Mrd. € erwartet. Zerstört bzw. stark beschädigt wurden u.a. zahlreiche Straßen und Brücken, 82 Kilometer Bahnstrecke, viele Schulen und Kindertageseinrichtungen.

Auch bei Industrie- und Gewerbebetrieben sind große Schäden entstanden. Betroffen waren/sind z.B. 188 Handwerksbetriebe, komplette Industrieunternehmen sowie Einzelhandel und Banken. Die Stabsstelle Wirtschaftsförderung der Kreisverwaltung unterstützt und berät betroffene Unternehmen bei der Beantragung von Wiederaufbauhilfen.

Die Innenstädte und somit der Versorgungsmittelpunkt mit auch gesellschaftlicher Funktion von Bad Münstereifel, Euskirchen, Kall, Schleiden und Schleiden-Gemünd wurden in weiten Teilen zerstört. Aktuell sind beispielsweise in der historischen Altstadt von Bad Münstereifel 17 von 32 Geschäften des City-Outlets bereits wieder geöffnet.

In der Flutnacht sind die Wassermassen meterhoch durch die Euskirchener Innenstadt geflossen und haben ein Bild der Zerstörung hinterlassen. Der Herz-Jesu-Vorplatz und die Einkaufsstraße mit nahezu allen Geschäften boten ein Bild der Verwüstung.
Quelle: Tom Steinicke

Im Zuge der Aufräumarbeiten nach der Hochwasserkatastrophe sind bei Kommunen, Privatleuten und Unternehmen enorme Abfallmengen entstanden, die teilweise zunächst an verschiedenen Orten im Kreisgebiet zwischengelagert wurden. Bisher wurden ca. 80.000 t Sperrmüll, ca. 500 t Elektroaltgeräte, ca. 11.000 t mineralischer Bauabfall und weiterer Abfall wie z.B. Asbest erfasst. Der größte Teil der Hochwasserabfälle wurde bis Ende 2021 entsorgt. Die Entsorgungskosten belaufen sich dabei zurzeit auf knapp 20 Mio. €, die über die Hochwasserhilfe des Landes abgerechnet wurden.

Auch wenn die großen Hochwasserschutzanlagen im Kreisgebiet (Kronenburger See, Hochwasserrückhaltebecken – HRB - Eicherscheid, Oleftalsperre, HRB Horchheim) grundsätzlich standgehalten haben, so sind aufgrund der Dimension des Ereignisses teilweise auch dort immense Schäden u.a. durch Überströmung entstanden. Der Staudamm der Steinbachtalsperre bei Euskirchen hat die Region tagelang in Atem gehalten, weil er zu brechen drohte. Als Vorsichtsmaßnahme waren die Bewohner*innen der umliegenden Dörfer mehrere Tage evakuiert. Um wieder eine Funktion im Hochwasserschutz übernehmen zu können, sind an vielen Anlagen umfangreiche Sanierungsarbeiten und die Überarbeitung der Konzepte notwendig.

Zur Umsetzung des Hochwasserschutzes sind in den letzten Monaten verschiedene Kooperationen entstanden, bei denen der Kreis, die Kommunen und die Wasserverbände bei der Erstellung neuer Konzepte zum Hochwasserschutz eng zusammenarbeiten. Auch an den Gewässern selbst und der gewässerbegleitenden Infrastruktur sind Schäden, teilweise verheerenden Ausmaßes, in allen Teileinzugsgebieten (Ahr, Erft, Kyl und Rur) entstanden.

Bei der Bewältigung der Herausforderungen des Wiederaufbaus ist es das Ziel des Kreises Euskirchen, die Aktivitäten kreisinterner und externer Kompetenzen zu bündeln und dabei auch die Kommunen koordinierend zu unterstützen. Hierfür sowie zur Umsetzung der eigenen Projekte des Wiederaufbaus und zur Realisierung weiterer Maßnahmen wurde bei der Kreisverwaltung zeitlich befristet eine Stabsstelle eingerichtet. Zu deren Aufgaben gehört auch die Erstellung von Starkregengefahrenkarten für alle kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Dabei werden für drei unterschiedliche Szenarien die Höhe, die Fließrichtung und –geschwindigkeit der Niederschläge simuliert. Die Karten bieten die Grundlage, sich intensiver mit Risiken und Kasakadeneffekten von Starkregen und Hochwasser zu befassen.

Um den erheblichen Auswirkungen bei Ausfällen von kritischer Infrastruktur künftig besser begegnen zu können, wird der Kreis Euskirchen im Rahmen der Bundesförderung „Resiliente Regionen“ mit Partnern aus den Bereichen Energieversorgung, Kommunikation und Straßenbau ein Kommunikations- und Dialognetzwerk bilden. Ziel des Projekts ist die Schaffung einer Austauschplattform für einen Risikodialog. Mit diesem innovativen Vorhaben möchte der Kreis Euskirchen als bundesweite Modellregion zeigen, dass es sich lohnt, administrative Grenzen zu überwinden, Herausforderungen gemeinschaftlich zu bewältigen und so die Resilienz nachhaltig zu steigern.

Mittlerweile ist das Leben in die Kreisstadt zurückgekehrt. Quelle: Tom Steinicke

Der Wiederaufbau der Infrastruktur im Kreis Euskirchen bietet auch Chancen. Dazu zählt z.B. die vorgezogene Elektrifizierung der Bahnstrecken. Bei der Wiederherstellung der Breitbandversorgung werden die zerstörten Kupferkabel durch Glasfaser ersetzt. Da bei den kreiseigenen Berufskollegs ganze Etagen zerstört sind, bietet sich die Möglichkeit einer Neuausrichtung hinsichtlich der Bildungsgänge und der Lernkonzepte. Bei anderen Gebäuden können Aspekte der Mulitfunktionalität oder der Barrierefreiheit mitberücksichtigt werden. Und nicht zuletzt bietet sich auch die Gelegenheit, regenerative Energieversorgung mitzudenken.


Heike Schneider
Quelle: Kreis Euskischen