Von A wie „Aufnahmestopp“ bis Z wie „Zahlungen bei Quarantäne“ – das Corona-Krisenmanagement beim LWL

17. Februar 2021: Von Matthias Löb, LWL-Direktor, und Dr. Georg Lunemann, Erster Landesrat und Kämmerer des LWL

Kann eine Tagesklinik mit Versorgungsauftrag einfach schließen und keine Patient:innen mehr aufnehmen? Werden behinderte Schülerinnen und Schüler weiter mit dem Bus zur Schule gebracht, auch wenn sie keine Maske tragen können? Was passiert mit gerade aufgebauten Ausstellungen in einem Museum, wenn keine Besucher:innen kommen dürfen? Dieser Artikel berichtet im Überblick darüber, welche Herausforderungen die Corona-Krise in den Aufgabenfeldern des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) mit sich gebracht hat und wie der LWL diesen begegnet ist.

Die besonders wichtigen Weichenstellungen der ersten Tage
Im Februar 2020 hat die Corona-Pandemie unser Leben in kürzester Zeit massiv verändert. Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als großer öffentlicher Arbeitgeber mit rund 18.000 Beschäftigten und als kommunaler Dienstleister für rund 8,3 Millionen Menschen in Westfalen-Lippe musste sehr schnell Antworten auf bis dato kaum vorstellbare Fragen finden. Die wichtigsten Weichen wurden in den ersten 10 Tagen der Pandemie gestellt:

  • Es wurden zwei Krisenstäbe eingerichtet, die schlanke Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen sichergestellt haben. Der erste Krisenstab ist zuständig für die Hauptverwaltung, die 35 Förderschulen und die Kultureinrichtungen des LWL. Der zweite Krisenstab organisiert Entscheidungen für die Einrichtungen, bei denen zwingend die tägliche Versorgung von Menschen sicherzustellen ist: für die psychiatrischen Kliniken, für die Pflege- und Wohnverbünde, für die Maßregelvollzugseinrichtungen und die LWL-Jugendheime mit ihren zahlreichen Wohngruppen.
  • Binnen 8 Tagen wurde eine umfassende Dienstvereinbarung verhandelt, die aus Beschäftigtensicht wichtige Punkte verbindlich regelt, wie Schutz von Beschäftigten mit Vorerkrankungen, Anspruch auf persönliche Schutzausrüstung, Einsatz von Urlaub und Arbeitszeitkonten etc. Diese Dienstvereinbarung trägt bis zum heutigen Tage.
  • Als per Anordnung des Landes die Werkstätten für Beschäftigte mit Behinderungen geschlossen wurden, haben die beiden Landschaftsverbände sofort entschieden, dass die Entgelte an die Freie Wohlfahrtspflege weitergezahlt werden, damit die gute soziale Infrastruktur in NRW in der Krise keinen irreparablen Schaden nimmt. Bedingung war, dass diese Beschäftigten dann in den Wohneinrichtungen den absehbar höheren Betreuungsaufwand abfangen. Das Land NRW war auf diese Weise schon gut aufgestellt – Wochen bevor der Bundestag das Sozialdienstleistereinsatzgesetz (SoDEG) verabschiedet hatte.
  • Durch konzertiertes Vorgehen der beiden Krankenhausapotheken des LWL sowie der Zentralen Einkaufskoordination (ZEK) sind innerhalb von 48 Stunden Einkäufe und Bestellungen von persönlicher Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln in großem Stil vorgenommen worden. Sehr früh wurde auch in erheblichem Umfang Hardware-Ausstattung beschafft, damit ein Maximum an Homeoffice-Arbeitsplätzen möglich werden konnte.

Damit war die Basis gelegt für ein ganzes Jahr im Krisenmodus, mit z. T. täglich notwendigen Entscheidungen, von denen im Folgenden eine repräsentative Auswahl vorgestellt werden soll.

Der „Querschnitt“ – Die Arbeitsfähigkeit der Verwaltung sichern
Wie bei fast allen Verwaltungen ist auch beim LWL für die Hauptverwaltung mit ihren ca. 4.000 Beschäftigten sehr schnell entschieden worden, dass Sitzungen oder Besprechungen mit physischer Präsenz vermieden werden sollen, dass Dienstreisen nur noch in Ausnahmefällen genehmigt werden und dass kritische Funktionen mit A- und B-Teams besetzt werden, damit sie auch im Krankheitsfall funktionsfähig bleiben. Wo irgend möglich sollte die Arbeit aus dem häuslichen Bereich anstatt aus dem dienstlichen Büro erfolgen, dort wo dies nicht möglich war, sollten Büros nur einzeln besetzt werden.
Wichtiger Erfolgsfaktor für eine solche Strategie des kontaktfreien Arbeitens war, dass der LWL schon vor der Corona-Krise eine langfristig ausgelegte Digitalisierungsstrategie verfolgte. So arbeiteten bspw. etwa 70% der Sachbearbeiter:innen Anfang 2020 bereits mit elektronischer Akte und digitalem Dokumentenmanagement. Nachdem – je nach Marktverfügbarkeit - sukzessive die Hardware-Ausstattung für das Homeoffice beschafft war, konnte die Zahl der Heimarbeitsplätze auf mittlerweile 3.700 mehr als verdoppelt werden. In den klassischen Büro- und Verwaltungsberufen haben aktuell über 80 Prozent der Beschäftigten einen Arbeitsplatz zuhause. Es geht aber nicht alleine um Homeoffice-Zugänge, Videokonferenzen oder Laptops. Entscheidend sind auch die konsequente Digitalisierung sämtlicher Geschäftsprozesse und die Entwicklung einer neuen Organisations-, Arbeits- und Führungskultur. Die Pandemie hat hier manchen Prozess beschleunigt. Wer hätte zu Beginn des Jahres 2020 gedacht, dass im Laufe des Jahres 500 neue oder vakante Stellen über Video-Bewerbungsgespräche besetzt werden?

Die Fachbereiche – weiter für die Menschen da
Neben den verbandsübergreifenden Maßnahmen hatten die Dezernate bzw. Fachabteilungen des LWL je spezifische Herausforderungen zu bewältigen. Insbesondere ging es darum, Krankheitsausbrüche bei tausenden von Menschen zu vermeiden, die in LWL-Einrichtungen wohnen, gepflegt und behandelt werden oder die sogar geschlossen untergebracht sind.

Jugend und Schule
Bei den LWL-Schulen handelt es sich um Förderschulen für Kinder und Jugendliche mit speziellen Beeinträchtigungen. Insbesondere die Schulen mit dem Förderschwerpunkt Körperliche und motorische Entwicklung werden von häufig schwerst- und mehrfachbehinderten Kindern und Jugendlichen besucht, die eine besonders verletzliche Gruppe darstellen. Alle zu treffenden Maßnahmen mussten auch darauf ausgerichtet werden. In der Zeit der Schulschließung und während des sog. „Homeschooling“ waren und sind viele Eltern über ihre Belastungsgrenzen hinaus täglich gefordert. Vielfach haben sie neben der Betreuung auch die Pflege und notwendige Therapie ihrer Kinder sicherzustellen. Der LWL unterstützt seine Förderschulen in dieser Zeit u. a. mit 2.500 IPads für Schülerinnen und Schüler und 800 Laptops für die Lehrkräfte. Eine große Herausforderung war und bleibt die Organisation des Schülerspezialverkehrs. Im Normalbetrieb befördern im Auftrag des LWL 65 Beförderungsunternehmen auf 1.314 Buslinien etwa 5.200 Schüler:innen täglich. Eine Mammutaufgabe, erst recht bei verschärften Hygienevorgaben und wechselnden Schulmodellen in Coronazeiten. Um die Existenz der beauftragten Beförderungsunternehmen nicht zu gefährden, wurden für die Zeit der Schulschließungen jeweils angemessene Vergütungsregelungen erarbeitet.

Psychiatrie
Im Bereich des LWL-PsychiatrieVerbundes mit seinen Kliniken, Wohnverbünden und Pflegezentren reichten die Herausforderungen von Fragen der Beschaffung Persönlicher Schutzausrüstungen (PSA) bei einer diffizilen Marktsituation gerade zu Beginn der Pandemie, über die Umsetzung der stetig wechselnden rechtlichen Vorgaben und wissenschaftlichen  Erkenntnisse bis hin zu der logistischen Koordinierung der verpflichtend einzurichtenden Covid-19 Bereiche bei Aufrechterhaltung der Behandlungskapazitäten. All dies wurde dank der früh etablierten Krisenorganisation und der Entwicklung eines Rahmenkrisenplans erfolgreich umgesetzt. Konkret bedeutete dies, dass beispielsweise verstärkt Video-Sprechstunden durchgeführt wurden. Die Tageskliniken, vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, haben ihr Angebot in den ambulanten Bereich verlegt, so dass ein Infektionsrisiko in den Kliniken verringert, aber das therapeutische und eine Tagesstruktur schaffende Angebot für die Patient:innen aufrecht erhalten werden konnte. Mit dem Beginn der kontinuierlichen Testungen in den klinischen Einrichtungen und der Aussicht auf Impfungen haben die LWL-Kliniken und Einrichtungen in vorausschauenden Kampagnen ihr Kollegium umfassend aufgeklärt und motiviert – zum Beispiel mit dem Slogan „LWL krempelt die #ärmelhoch“.


Unter dem Motto "LWL krempelt die #ärmelhoch" erklären Kolleginnen und Kollegen der LWL-Kliniken Lippstadt und Warstein ihre Motivation, sich gegen Corona impfen zu lassen.
Quelle: LWL

Maßregelvollzug
In den LWL-Maßregelvollzugseinrichtungen für psychisch oder suchtkranke Straftäter:innen bestand die besondere Aufgabe nicht so sehr darin, in die Höhe geschnellte Infektionszahlen wieder auf ein niedriges Niveau zu bringen. Vielmehr konnten größere Infektionsgeschehen von Anfang an vermieden werden. Herausfordernd war allerdings, dass die hierfür erforderlichen Maßnahmen mit starken Einschränkungen für die Patient:innen verbunden waren. Stationsübergreifende Angebote wie etwa Freizeitaktivitäten, Sport oder Ergotherapie fanden nicht mehr zentral statt, sondern nur stationsweise. Die Besuchsmöglichkeiten und auch die bereits erzielten Lockerungen Einzelner wurden eingeschränkt – und all das bei einer konstant starken Überbelegung der Einrichtungen. Ein wahrer Kraftakt.

Kultureinrichtungen
Was passiert, wenn die Ausstellung nach Jahren der Konzeption aufgebaut ist und keine Besucher:innen  kommen dürfen? Bereits früh in der so genannten „ersten Welle“ sorgte das LWL-Museum für Archäologie in Herne für mediales Aufsehen – wer hätte erwartet, dass die Ausstellung „Pest!“ über Nacht dermaßen an Aktualität gewinnen würde. Als die Türen wegen des Lockdowns geschlossen blieben, verlagerte sich das Angebot hin zu Plattformen wie YouTube oder auf sonstige Social-Media-Kanäle. Mit einem eigenen Beitrag in diesem Heft wird beschrieben, wie kreativ die Beschäftigten in der LWL-Kultur wurden und welche digitalen Formate seitdem zum Repertoire gehören.


In der Gesellschaft von Saurierskeletten: Eine Mitarbeiterin des LWL-Museums für Naturkunde produziert im Ausstellungsbereich Atemschutzmasken.
Quelle: LWL/Steinweg

Soziales
Die Kernaufgabe der LWL-Inklusionsämter, nämlich der Schutz vulnerabler Personengruppen und die Gewährleistung ihrer Teilhabe, stand auch in der Pandemie im Fokus. So mussten in der ersten Jahreshälfte auch die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) schließen. Aufgrund des Betretungsverbotes mussten die Menschen in anderer Form und an anderen Orten bedarfsgerecht betreut werden. Auch Inklusionsbetriebe waren von der Krise durch Umsatzeinbußen und Kurzarbeit zum Teil stark betroffen. Medial und auch aus Sicht des „Personal Recruitings“ herausfordernd war die zum Teil neu geschaffene Zuständigkeit der Landschaftsverbände nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Das IfSG regelt zum einen Entschädigungen von Verdienstausfällen, die durch behördliche Maßnahmen entstanden sind, zum anderen Entschädigungen von solchen Verdienstausfällen, die durch die notwendige Betreuung von Kindern aufgrund von behördlich angeordneten Schul- und Kitaschließungen entstanden sind. Seit Beginn der Pandemie stieg beim LWL die Zahl der eingehenden Anträge täglich – Ende des Jahres 2020 waren es im Schnitt 800 Anträge pro Tag. Zum Vergleich – in den Jahren zuvor gab es weniger als 100 Anträge pro Jahr. Für die effiziente administrative Umsetzung wurde binnen kürzester Zeit ein eigenes Referat mit über 70 Vollzeitkräften aufgebaut. Zusammen mit dem NRW-Sozialministerium wurde ein digitales Antrags- und Bearbeitungsverfahren entwickelt. Außerdem richtete der LWL kurzfristig ein neues Internet-Angebot und eine Telefon-Hotline für Fragen zur Entschädigung ein.

Erfolgsfaktoren und Chancen der Krise
Die vom LWL getroffenen Maßnahmen haben bislang gewirkt. Die Leistungen konnten aufrecht erhalten werden und die Infektionszahlen unter den Beschäftigten im Verwaltungsbereich bewegten sich durchgehend auf einem sehr niedrigen Niveau. Auftretende größere Ausbruchsgeschehen in einzelnen Einrichtungen konnten rasch eingedämmt werden.
Klar ist: Die Maßnahmen waren und sind bis jetzt erfolgreich, weil der Rückhalt bei den Beschäftigten groß ist. Ohne den beherzten Einsatz der Mitarbeitenden und ihr Agieren in der Krise mit hoher Motivation, fachlichem Knowhow, mit Umsicht und Solidarität wäre auch das durchdachteste Krisenmanagement ins Leere gelaufen. Das vertrauensvolle Miteinander zwischen Verwaltung, Krisenstäben und Personalvertretung verdient ebenfalls besonders hervorgehoben zu werden.
Wie dargestellt war auch der bereits vor der Pandemie recht hohe Digitalisierungsgrad ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Krisenbewältigung. Der LWL hat also von grundlegenden Weichenstellungen aus der Vergangenheit profitiert. Daher soll auch jetzt – noch in der Krise - der Blick nach vorne gerichtet werden: Neben einer beschleunigten konsequent digitalen Ausrichtung der Geschäftsprozesse eröffnet die Corona-Krise neue Chancen für einen nachhaltigen LWL. So wird künftig ein stärkerer Fokus auf Mobilitätsvermeidung und eine umweltfreundliche betriebliche Mobilität gelegt (Aktuell stellt sich der LWL mit einem Pilotprojekt zum Betrieblichen Mobilitätsmanagement neu auf, Eildienst berichtete). Ferner ist aktuell der Startschuss für die Erarbeitung eines integrierten Klimaschutzkonzeptes gefallen, in welches auch das Mobilitätskonzept einfließen wird. So steht unterm Strich die Erkenntnis, dass aus jeder Krise auch etwas Gutes erwächst – zukünftig gilt es nun, an diesen Themen weiter für die Menschen in Westfalen-Lippe zu arbeiten.

Matthias Löb

Quelle: LWL

Dr. Georg Lunemann