Strategische integrierte Sozial- und Gesundheitsplanung nimmt im Rhein-Sieg-Kreis wichtige Hürde
Der Rhein-Sieg-Kreis und seine Kommunen haben seit jeher höchst unterschiedliche soziale Profile. Um für die Bürgerinnen und Bürger flächendeckend gute soziale und gesundheitliche Teilhabechancen zu sichern, sollen Angebote der sozialen Infrastruktur nun besser an den Bedarfen der Menschen ausgerichtet werden. Mit 158 Quartiersprofilen legt der Kreis nun die Grundlage für den integrierten Planungsprozess.
Integrierte Sozialplanung kann erfahrungsgemäß nicht im Alleingang gelingen. Sie erfordert und verfolgt eine Öffnung der Planungskultur, die zahlreiche Akteure einbezieht. Die besondere Herausforderung für den Rhein-Sieg-Kreis: Es mussten 19 kreisangehörige Städte und Gemeinden sowie mehrere Fachämter der Kreisverwaltung konzeptionell so eingebunden werden, dass die Grundlagen einer integrierten Planung entstehen. Hinzu kam die schwierigere Datenlage im Vergleich zu Großstädten. Dennoch ist es gelungen, ein kleinräumiges Monitoring für Sozial- und Gesundheitsdaten zu erarbeiten.
Gelingensfaktoren: Kommunikation und Einbindung
Von Beginn an lag der Fokus daher auf einer offenen Zusammenarbeit und Transparenz mit allen internen und externen Projektpartnern. Zunächst wurden die Kommunen gefragt, welche Erwartungen und Bedarfe sie konkret an eine Sozial- und Gesundheitsplanung haben. In den anschließenden 19 Vor-Ort-Terminen in den Rathäusern wurden die Schwerpunkte des Projekts vereinbart und zusätzlich ein tragfähiges Netzwerk von Ansprechpersonen aufgebaut. Vier Kommunen beteiligten sich stellvertretend für alle kreisangehörigen Kommunen in der Projektlenkungsgruppe. In Dienstbesprechungen von Hauptverwaltungsbeamt/innen und Sozialdezernent/innen wurde immer wieder über den Projektfortschritt berichtet und Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung platziert. Die Kreistagsabgeordneten und Wohlfahrtsverbände wurden ebenso fortlaufend informiert und konnten sich in zwei Fachtagen einbringen.
Fleißarbeit Kleinräumige Gliederung
Um kleinräumige Daten zu erschließen, war eine enorme Fleißarbeit erforderlich. Im Rhein-Sieg-Kreis bestand zu Projektbeginn noch keine flächendeckende kleinräumige Planungsstruktur. Deshalb mussten für die meisten Städte und Gemeinden zunächst Quartiere nach fachlichen, technischen und statistischen Mindestanforderungen gebildet werden. Bestehende Planungseinheiten wie Jugendamtsbezirke wurden dafür berücksichtigt und wo möglich wurden mehrere bestehende örtliche Aufteilungen zusammengeführt. Aufgrund der Größe des Kreisgebiets umfasste die kleinräumige Gliederung schließlich 158 Quartiere mit durchschnittlich 3.800 Einwohnerinnen und Einwohnern. In Zusammenarbeit mit den Kommunen und dem eigenen Amt für Katasterwesen und Geoinformation wurde für die Weiterarbeit anschließend digitales Kartenmaterial erstellt.
Für den Rhein-Sieg-Kreis wurde eine kleinräumige Gliederung mit 158 Quartieren erarbeitet.
Quelle: Rhein-Sieg-Kreis
Als Grundlage für die Auswertung von Quartiersdaten musste ein Straßenschlüssel mit rund 250.000 Wohnadressen erstellt werden. Hierfür konnte zwar auf vorhandene Verzeichnisse aus dem Meldewesen zurückgegriffen werden, jedoch waren für drei Kommunen zunächst erhebliche Nacharbeiten im AGK-Datenbestand zu koordinieren (AGK: Adresszentraldatei, Gebäudedatei und Kleinräumige Gliederung).
Indikatoren für gleichwertige Lebensverhältnisse
Um die soziale und gesundheitliche Lage der Quartiere ermitteln zu können, wurde ein Set mit aussagekräftigen Indikatoren gebildet, die eine klare strategische Zielorientierung bieten. Basis hierfür bildeten zunächst die UN-Nachhaltigkeitsziele (Substainable Development Goals –SDG) und die von den kommunalen Spitzenverbänden mit der Bertelsmann Stiftung ausgearbeiteten SDG-Indikatoren für Kommunen.
Die Möglichkeiten statistischer Datenerhebung waren im Wesentlichen auf diejenigen Quellen beschränkt, die mithilfe des erarbeiteten Straßenschlüssels kleinräumige Daten aggregiert liefern konnten.
Es wurden fünf Handlungsfelder mit 14 Indikatoren erarbeitet, die spezifische Lebenslagen für eine Analyse zugänglich machen:
- Armutslagen (SGB II-Bezug, Kinder-/Jugendarmut, volle Erwerbsminderung, Altersarmut außerhalb von Einrichtungen)
- Bildung und Erziehung (Kinderentwicklung, Anteil Alleinerziehenden-Haushalte)
- Demografie (Aging-Index, Greying-Index, Geburtenrate)
- Erwerbsarbeit (Aufstocker-Quote, Langzeitarbeitslose)
- Gesundheit und Wohlergehen (Übergewicht bei Einschulung, Vorzeitige Sterblichkeit, Schwerbehinderung)
Zentrales Arbeitspaket bildete die Erschließung und Aufbereitung der Daten zu den Indikatoren für die 158 Quartiere, die mithilfe von MS Excel erfolgte. Die Ergebnisse wurden in Workshops jeweils mit Expertinnen und Experten der Fachbereiche und des Jobcenters sowie mit jeder Kommune einzeln besprochen und qualitätsgesichert. Nachdem notwendige Nacharbeiten abgeschlossen waren, konnte mithilfe der Indikatoren der Index „Aufmerksamkeitsbedarf“ gebildet werden. Durch ihn lassen sich Abweichungen von den angestrebten gleichwertigen Lebensverhältnissen im Rhein-Sieg-Kreis erkennen.
Profile machen Lebensverhältnisse in den Quartieren transparenter
Von Beginn an war klar, dass eine integrierte Planung als kooperativer Prozess nur dann gelingen kann, wenn Quartiersdaten veröffentlicht werden. Bei einigen Kommunen bestand die Befürchtung einer zusätzlichen Stigmatisierung bestimmter Quartiere. Durch die Darstellung in Quartiersprofilen wurde ein Weg gefunden, der die Gegebenheiten aufzeigt aber nicht dramatisiert. Die Profile wurden daher als unkommentierte „Daten für Taten“ entwickelt, die wesentliche Informationen auf der Quartiersebene zusammenführen.
Neben den Indikatoren und dem Aufmerksamkeitsbedarf wurden die Profile um weitere planerische Elemente ergänzt: Da sich mangels kleinräumig verfügbarer Daten Indikatoren zum Handlungsfeld Wohnen nicht bilden ließen, wurden die Nahversorgungsstruktur von Quartieren, Wohnbebauung sowie die ÖPNV-Anbindung qualitativ durch die Kommunen bewertet. Außerdem konnten für alle Quartiere bestimmte stationäre und teilstationäre Angebote sowie beispielsweise Spiel- und Bolzplätze in so genannten Angebotslandkarten dargestellt werden.
Inzwischen sind die Quartiersprofile unter www.rhein-sieg-kreis.de/quartiersprofile veröffentlicht und für alle abrufbar. Dem gingen mehrere Abstimmungstermine (kreisintern und mit den Kommunen) voraus. Auch wurden die Daten für eine strategische Sozial- und Gesundheitsplanung in einem Pressetermin der Öffentlichkeit vorgestellt.
Landrat Sebastian Schuster (r.) und Stephan Liermann, Leiter des Sozialamtes des Rhein-Sieg-Kreises (l.), bei der Vorstellung der Quartiersprofile der 19 Kommunen des Rhein-Sieg-Kreises.
Quelle: Rhein-Sieg-Kreis
Analyse ermöglicht die zielgerichtete strategische Planung
Neben der Betrachtung nach Quartieren bieten die Daten wertvolle Ansatzpunkte für die strategische Ausrichtung bei der sozialen Daseinsvorsorge. Die Betrachtung der Aufmerksamkeitsbedarfe aller Quartiere ergibt konkrete strategische Ansatzpunkte für Kreis und Kommunen.
BU: Die Aufmerksamkeitsbedarfe machen Unterschiede in den Lebenslagen vor Ort deutlich.
Quelle: Sozial- und Gesundheitsplanung, Rhein-Sieg-Kreis
Zehn der Quartiere weisen einen besonderen Aufmerksamkeitsbedarf >1 auf. Alle oder fast alle Handlungsfelder sind hier überdurchschnittlich ausgeprägt. Strategisch sollen die Teilhabechancen der Bewohnerinnen und Bewohner künftig durch die abgestimmte Zusammenarbeit von Kreis, Kommune und lokalen Akteuren nachhaltig positiv beeinflusst werden. Aufmerksamkeitsbedarf besteht aber nicht nur in diesen Quartieren. Anhand der Analyse wird deutlich, dass auch Quartiere mit etwas erhöhtem oder durchschnittlichem Aufmerksamkeitsbedarf zum Teil nennenswerte Auffälligkeiten in einzelnen Handlungsfeldern aufweisen. Im Sinne eines Frühwarnsystems sollten zudem auch die Quartiere mit niedrigem Aufmerksamkeitsbedarf in den Blick geraten, die im Themenfeld Erwerbsarbeit beispielsweise aufgrund höherer Aufstocker-Quoten auffallen. Eine aktuell hohe Quote an Aufstockenden ist ein Indiz für die Altersarmut der Zukunft.
Hier setzen die Kommunen und der Rhein-Sieg-Kreis jetzt an und befassen sich mit den strategischen Fragestellungen. Der Ausschuss für Soziales und Integration hat unterstützend beschlossen, dass die begonnenen Umsetzungsschritte fortgesetzt und die Daten für Taten in einem Self-Service-Portal bereitgestellt werden sollen. Im Rahmen der integrierten Planung werden nun Zielgruppen festgelegt und wirksame Maßnahmen entwickelt, so dass sich Lebenslagen und Teilhabechancen positiv verändern. Als erstes Planungsvorhaben auf Basis der Quartiersdaten arbeitet die Sozial- und Gesundheitsplanung aktuell gemeinsam mit der Gemeinde Eitorf und dem Kreisgesundheitsamt an Maßnahmen zur Verbesserung der Kindergesundheit.
Fazit
Trotz der anforderungsreichen Ausgangssituation ist es dem Rhein-Sieg-Kreis gelungen, Quartiersprofile als Grundlage einer strategischen Sozial- und Gesundheitsplanung zu erarbeiten. Die begonnene intensive Kooperation von Kreis und Kommunen kann nun in eine integrierte Handlungsplanung für die Quartiersentwicklung münden. Bewohnerinnen und Bewohner der Quartiere sowie die Wohlfahrtsverbände und weitere Akteure werden hierbei eine stärkere partizipative Einbindung erfahren.
Das Vorhaben wurde durch die Projektförderung des Landes NRW aus dem Programm „Zusammen im Quartier“ ermöglicht, um die Lebensverhältnisse und Teilhabechancen in besonders benachteiligten Quartieren nachhaltig zu verbessern.
Quelle: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
Das Vorhaben wurde durch die Projektförderung des Landes NRW aus dem Programm „Zusammen im Quartier“ ermöglicht, die das Ziel verfolgt die Lebensverhältnisse und Teilhabechancen in besonders benachteiligten Quartieren nachhaltig zu verbessern.
Frank Lehmann-Diebold
Quelle: Privat