Modellansatz zur richtigen Zeit – Die jüngste Verbraucherzentrale startete mit der Multi-Channel-Kommunikation
Seit März 2021 gibt es auch im Kreis Herford eine Verbraucherzentrale. Es ist die jüngste Beratungsstelle der Verbraucherzentrale in NRW. Sie startete mitten im Lockdown und wartet auf mit einem neuen Ansatz moderner Verbraucherarbeit: Mit der Neuorganisation und Multi-Channel-Beratung leistet sie Pionierarbeit im Bereich der Digitalen Infrastruktur und verbindet die Vorteile einer klassischen Standortberatungsstelle mit den Chancen digitaler Weiterentwicklungen. Für den EILDIENST ziehen Kreis Herford und Verbraucherzentrale NRW nach dem ersten Dreivierteljahr eine erste Bilanz.
Kundenorientierter Betriebsstart trotz geschlossener Türen
Es ist die 62ste und die jüngste Beratungsstelle der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen: Am ersten März dieses Jahres startete die Verbraucherzentrale in Herford ihre Arbeit – mitten im Herzen der Stadt Herford und doch mussten die Türen für die persönliche Beratung einige Monate geschlossen bleiben: Der Start fiel mitten in den Lockdown, erinnert sich Maik Böhme, der Leiter der Herforder Verbraucherzentrale: „Unter den Pandemiebedingungen sind wir natürlich mit angezogener Handbremse gestartet. Im Juli hatten wir den ersten direkten Termin-Kunden in unserer Verbraucherzentrale und bieten wieder persönliche Beratungen – auch ohne Termin – vor Ort an. Überwiegend haben wir telefonische Beratungen geführt oder online beraten“.
Das Team in der Herforder Verbraucherzentrale: v.l. Anja Pachur (Büroassistenz), Maik Böhme (Beratungsstellenleiter) und Jessika Enes (Beratungskraft).
Quelle: Verbraucherzentrale Herford
Trotzdem hat sich die jüngste Verbraucherzentrale NRWs schnell gemausert. Denn schon jetzt bewegt sie sich mit über 1.600 Anfragen zwischen März und November 2021 fast auf dem Niveau der übrigen Beratungsstellen gleicher Größe. „Wir werden gut angenommen. Es hat sich herumgesprochen, dass es uns gibt und vor allem, dass wir wochentags jeden Tag erreichbar sind – auch außerhalb der normalen Geschäftszeiten“, bilanziert der studierte Wirtschaftsjurist Böhme und freut sich mit seinem Team über die gute Bilanz.
Neuorganisation und Multi-Channel-Kommunikation in Pilotierung
Das Zauberwort der niederschwelligen Erreichbarkeit heißt übrigens „Multi-Channel-Kommunikation“, die mit einer Neuorganisation der Beratungen einhergeht. Es ist ein Modellvorhaben, das in der Herforder Verbraucherzentrale digitale Pionierarbeit leistet. Herford ist der Prototyp für einen kundenfreundlichen digitalen Zugang, für die mobile IT-Ausstattung der Mitarbeitenden und für den optimierten Einsatz der Beratungskräfte. Die Idee: Die Verbraucherzentrale vor Ort ist mit der Verbraucherzentrale NRW vernetzt und zugleich Teil des landesweiten Service und sorgt dabei für ein Optimum an Erreichbarkeit. Der erste Kontakt findet online oder über eine zentrale Telefonnummer statt. Dabei erfolgen zu einem deutlich erweiterten Zeitfenster bereits erste Auskünfte und Beratungen. Wenn es tiefer gehenden Beratungsbedarf gibt, werden dafür vom zentralen Service aus umfassende individuelle Beratungsgespräche in der nächstgelegenen Verbraucherzentrale und so auch am Standort Herford gebucht. Langfristig sollen – je nach Bedarf und entwicklungsoffen - auch andere Zugangskanäle eingebunden werden. Denkbar sind Zugang und Beratung via Chats oder Messengerdienste – Videoberatungen sind zum Teil bereits schon eingeführt. Die Anfragen werden also neu, effektiver und barrierearm bearbeitet. „Das Pilotvorhaben dieser Neugestaltung kam zur rechten Zeit – nicht nur in der Pandemie waren und sind digitale Beratungsalternativen wichtig, weil sie gewährleisten, dass wir für die Menschen, die dringend Rat suchen, ihnen diesen ortsunabhängig geben können. Diese Erfahrungen haben schon jetzt landesweit zu einer enormen Weiterentwicklung der IT-Strukturen und Beratungsorganisation geführt“ erklärt Dr. Marle Kopf, Regionalleiterin der Verbraucherzentrale NRW.
Landrat Jürgen Müller bei der Eröffnung der Verbraucherzentrale im März 2021.
Quelle: Kreis Herford
Herford als Modellstandort für neue landesweite digitale Serviceangebote – das hört auch der Landrat des Kreises Herford, Jürgen Müller, gerne: „Die Verbraucherzentralen sind vielgefragte Anlaufstellen für Ratsuchende und geben verlässliche, neutrale Hilfestellungen mit vielfältigen Fachberatungen und Rechtsvertretungen. Sie sind wichtiger Bestandteil der Daseinsvorsorge für die Menschen. Wir haben im Kreis Herford lange und intensiv verhandelt und ich bin froh, dass wir jetzt endlich eine Verbraucherzentrale haben. Dass die Zentrale darüber hinaus über den neuen Modellansatz landesweit Standards setzt und Pionierarbeit leistet, macht mich besonders stolz“.
2019 hatte der Kreistag die Einrichtung einer Beratungsstelle einstimmig beschlossen. Land und Kreis übernehmen je hälftig die Finanzierung der Zentrale. Für das erste Jahr sind für den Kreis rund 150.000 € einkalkuliert, bis 2025 wird sich der Zuschuss voraussichtlich auf etwa 167.000 € einpendeln. Auch die Räumlichkeiten – mitten in der Stadt – sind vom Kreis organisiert. Im kreiseigenen Gebäude wurden die Beratungs- und Büroräume für die Verbraucherzentrale umgebaut und auch die Einrichtungskosten wurden vom Kreis mitfinanziert: „Trotz immer knapper werdender Mittel stehen wir voll und ganz hinter diesem wichtigen Service für die Bürgerinnen und Bürger im Kreis Herford. Ein eigens gegründeter Beirat überblickt aktuelle Entwicklungen und über die Jahresberichte bekommen wir darüber hinaus ein besseres Gefühl dafür, wo Verbraucherinnen und Verbrauchern im Kreisgebiet der Schuh drückt“, so Landrat Müller.
Hitparade der Verbraucherprobleme: Telekommunikation auf Platz Eins
Der Anfragenschwerpunkt in der Herforder Verbraucherzentrale liegt - wie landesweit - im Bereich der Telekommunikation. Die meisten Probleme gibt es mit Telefon- oder Internetverträgen, Rechnungen, Anschlüssen oder beim Wechsel der Anbieter.
„Einer meiner ersten Präsenz-Beratungstermine hatte mit einer sehr speziellen Internetbestellung zu tun. Ein Ehepaar kam ziemlich verzweifelt in unsere Geschäftsstelle. Ihr 9-jähriger Sohn hatte, natürlich ohne das Wissen der Eltern und auch ohne böse Absicht, per Handy für rund 1.000 € Spielkonsolen bestellt. Ein Glück ist hier die Rechtslage bei Minderjährigen sehr eindeutig und die Eltern haben mit unserer Hilfe fast das ganze Geld wieder zurückbekommen“, erinnert sich Maik Böhme, Leiter der Verbraucherzentrale in Herford.
Ganz aktuell sind Anfragen zu Energiepreisen hoch im Kurs. Auch Alltagsverträge jeder Art , Gesundheitsdienstleistungen, Reiserecht, Baufinanzierung, Energierecht, Stromanbieterwechsel, Urheberrecht, Lebensmittel und Haushalt stehen weit oben – ebenso wird ausgiebig beraten zu Themen wie Kaufrecht, Werkvertragsrecht, bei Geld- und Kreditproblemen oder wenn es Ärger mit Banken oder bei Geldanlagen gibt.
Maik Böhme berät in der Verbraucherzentrale Herford einen Kunden, der Probleme mit seinem Bankinstitut hat.
Quelle: Kreis Herford
Wie bei dem 27-jährigen Bernd P., der lieber anonym bleiben möchte. Er ist am Morgen der erste Kunde in der Verbraucherberatung in Herford. Anfang der Woche wurde ein Großteil seines Kontos gepfändet – und zwar so viel, dass er nun kaum noch Geld für den Rest des Monats hat. Maik Böhme ist sehr schnell in ein intensives Beratungsgespräch vertieft. Er wird Kontakt mit der Bank aufnehmen. Der junge Mann ist sichtlich angetan und auch ein wenig erleichtert: „Ich habe im Internet gesehen, dass es hier jetzt eine Verbraucherzentrale gibt. Gekommen bin ich erst einmal ohne Erwartungen, aber natürlich habe ich gehofft, dass man mir hilft. Dass ich auch einen Pfändungsschutz für mein Konto einrichten kann, wusste ich nicht – das mache ich in Zukunft auf jeden Fall besser. Ich finde es toll, dass der Berater nun Kontakt mit meiner Bank aufnimmt und mir dabei hilft.“
Das Gespräch mit dem Kunden führt Maik Böhme übrigens in absoluter Ruhe. Kein Handy oder Telefon klingelt – denn die Anrufe gehen über die Zentrale oder über die Anschlüsse seiner beiden Mitarbeiterinnen, die derzeit aus dem Homeoffice Beratungen über Telefon oder online übernehmen. Das Multi-Channel-Kommunikations-Konzept wirkt sich also auch auf das direkte Kundengeschäft vor Ort aus: spürbar aber nicht hörbar: „Wir können uns jetzt noch besser auf die Kundengespräche vor Ort konzentrieren, das macht es für alle noch etwas angenehmer“, erklärt Maik Böhme und wartet auf den nächsten Kunden – der in einer Viertelstunde einen Termin zum Reiserecht hat.
Petra Scholz
Quelle: Kreis Herford