Mit eigenem Regio-Saatgut dem Artensterben entgegenwirken

25. April 2024: Von Karl Malden, Leiter der unteren Naturschutzbehörde, und Hendrik Thies, Biodiversitätsmanager, Kreis Recklinghausen

Das Arten- und insbesondere das Insektensterben ist das Thema der Zeit. Täglich beschreiben neue Meldungen den raschen Artenschwund – insbesondere bei Pflanzen und Tieren der Lebensräume des Offenlandes, den Wiesen und Weiden. Doch wie kann diesem Verlust an Biodiversität entgegengewirkt werden? Im Kreis Recklinghausen mit der Biodiversitätsinitiative 2025.

Der Kreis Recklinghausen hat in den vergangenen 15 Jahren begleitend zu Gewässerrenaturierungen ca. 120 ha landwirtschaftliche Flächen erworben. Diese Flächen hatten sehr unterschiedliche ökologische Ausgangsqualitäten, aber alle eine hohe Lagegunst innerhalb der Bachauen. Das Ziel: Diese Flächen in blütenreiche Mähwiesen verwandeln und vor allem auch auf die Tier- und Pflanzenarten münzen, die noch vor wenigen Jahrzehnten als ungefährdet galten, heute aber deutliche Bestandsrückgänge bis zur Auslöschung aufweisen.

Gelingen soll das, indem die Reste von artenreichen Spenderflächen kartiert, bewertet und beerntet werden, um mit dem gewonnenen Saatgut die Flächen in den Bachniederungen zu bestellen. Bis 2025 sollen so 50 ha, bis 2030 mehr als 100 ha mit dem regional gewonnenen Regio-Saatgut aufgewertet werden, die dann wiederum selbst zukünftig als Spenderflächen zur Verfügung stehen.

Bis 2023 konnten seit dem Projektstart 2018 bereits rund 30 ha Frisch- und Feuchtwiesen in Dorsten und entlang des renaturierten Wienbachs in artenreiches Feuchtgrünland verwandelt werden. Wie das ganz konkret gelungen ist, erklärt die Untere Naturschutzbehörde an seinem Vorgehen im vergangenen Jahr - ein Bericht aus der Praxis. 

Die Saatgut-Ernten
In den vergangenen Jahren konnte der Kreis bereits gute Erfahrungen mit keinen Wildsamen-Erntemaschinen wie dem Wiesefix bzw. Seedprofi 2.0 sammeln. In 2023 sollte aber versuchsweise Regio-Saatgut in landwirtschaftlichem Maßstab geerntet werden. Im Einsatz: Ein Großdrescher. Als Spenderflächen dienten noch existierende Reste von vormals verbreiteten mageren Glatthaferwiesen mit einem gut erkennbaren Feuchtegradienten hin zu Feucht bzw. Nassgrünland mit einem ausgeprägten Vorkommen von Binsen- und Seggengräsern.

Einsatz des Großdreschers auf einer Feuchtwiese/Glatthaferwiese im Juli. Die Schnitthöhe wurde vergleichsweise hoch gewählt, um noch nicht getrocknete Biomasse nicht mit zu dreschen.
Quelle: Kreis Recklinghausen

Mit Blick auf das Wetter und den optimalen Trocknungs- und Reifegrad der Zielarten wurden die ersten drei Hektar in der ersten Juliwoche gedroschen. Beim Drusch von Wiesen ist es wichtig, dass die Biomasse, die durch den Drescher geleitetet wird, möglichst trocken ist, um ein festkleben der Samen zu verhindern. Außerdem muss genügend trockene Biomasse in den Mähdrescher eingeleitet werden, um ein gutes Ergebnis erzielen zu können. Wichtig war neben der optimalen Schnitthöhe auch, das Gebläse des Dreschers abzustellen, damit die normalerweise unerwünschten kleinen und leichten Samen nicht weggeblasen werden. Das Ergebnis dieser Ernte: etwa 200kg Roh-Trockenmasse.

Der zweite Druschvorgang auf zwölf weiteren Hektar wurde im September durchgeführt, um einige der später reifenden Arten wie Sumpfschafgarbe oder Johanniskraut ebenfalls zu ernten. Die Herausforderung zu diesem Zeitpunkt bestand darin, so tief wie möglich zu schneiden, um möglichst viel Biomasse der nun niederwüchsigen, mageren Glatthaferwiese in den Drescher zu befördern.

Außerdem konnten die Untergräser zu diesem Zeitpunkt des Jahres trotz guten Wetters nicht mehr vollständig abtrocken. Dadurch hatte das Druschgut eine völlig andere Konsistenz, als das aus dem Juli: Es war deutlich schwerer, hatte einen sehr geringen Grassamenanteil, dafür aber einen sehr hohen Biomasseanteil. Zudem war es feucht, was eine rasche Trocknung notwendig machte. Bereits beim Sammeln auf den Anhängern wurde es ausgebreitet, damit es zu keiner Fermentierung kam.

Das Samenspektrum reicht am Ende von der eigentlich im Frühsommer reifenden Kuckuckslichtnelke über Wiesenmargarite und Wilde Möhre hin zu Johanniskraut und Sumpfschafgarbe. Da das Druschgut bei beiden Ernteterminen zu feucht zum Einlagern war, musste dieses in Hallen durch tägliches Wenden getrocknet werden. Der Einsatz des Dreschers und das langsame Trocken hatten dabei einen Vorteil: Die fast reifen Blütenköpfe unterschiedlichster Korbblütler wie Sumpfkratzdistel oder Ferkelkraut, aber auch die fast reifen Samenstände anderer Arten wie Geflecktes Johanniskraut konnten durch diesen Prozess nachreifen und somit die Palette übertragbarer Arten erweitern. 

Die Aufbereitung des Materials
Das Saatgut eignet sich nach der Trocknung nicht zur Aussaat mit landwirtschaftlichen Standart-Sämaschinen, da noch zu viele Stängel und Halme enthalten sind. Die Verwendung solcher sehr präzise arbeitenden Maschinen ist jedoch notwendig, um ein optimales Ansaat-Ergebnis zu erreichen. Deshalb wurde das Dreschgut noch einmal aufbereitet.

Dafür hat der Kreis ein modifiziertes Rüttelsieb angeschafft. Rund 400kg gesiebtes Druschgut konnten damit produziert werden, die mit zwei bis drei g/m2 ausgesät wurden - das entspricht Saatgut für die Einsaat von 15 ha und im Wert von ca. 30.000 Euro.

Die Ansaat
Neben dem passenden Saatgut ist für eine erfolgreiche Ansaat von extensivem Grünland eine Bodenvorbereitung entscheidend. Dabei ist es auf ehemaligen Ackerstandorten deutlich leichter unter Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen wie Pflug und Kreiselegge ein feinkrümeliges Saatbett zu erzeugen, als auf schon bestehenden Grünlandstandorten. Denn dort sollte der Eingriff so gering wie möglich erfolgen, um das Bodengefüge nicht zu zerstören und etablierte Arten nicht gänzlich zu überpflügen. Außerdem sind Feuchtgrünländer nicht ganzjährig befahrbar und anfällig für Bodenverdichtung, weshalb auf den Einsatz größerer landwirtschaftlicher Maschinen verzichtet werden sollte.


Streifenansaat mit einem Komunaltechnik-Traktor mit Umkehrfräse und Saatkasten. Es folgen abwechselnd zwei Meter breite Streifen Ansaat auf fünf Meter bestehendes Grünland.
Quelle: Kreis Recklinghausen

Eine sinnvolle Alternative stellt die in der Kommunaltechnik zur Anlage von Rasenflächen verwendete Umkehrfräse dar. Zum einen sind diese Geräte und auch die eingesetzten Traktoren kleiner und somit leichter, was besonders sensiblen Grünländern zu Gute kommt. Zum anderen gibt es Vorteile in der Arbeitsweise dieser Maschinen: Beim Fräsen wird die vorhandene Grasnarbe nicht nur gebrochen und mit dem Erdreich vermengt, sondern vom Erdreich getrennt und unter diesem eingearbeitet. Durch die nachlaufende Strukturwalze entsteht ein feinkrümeliges Saatbett, das optimale Wuchsbedingungen für Saat- oder Mahdgut bietet. Darüber hinaus befinden sich im Anschluss keine Rasenstücke an der Bodenoberfläche, sodass die Konkurrenz der alten Grasnarbe zu den neu gesäten Pflanzen effizient gebrochen wird. Diese Methodik kann außerdem gut für eine streifenförmige Ansaat in einem bestehenden Grünland genutzt werden.

Monitoring und Erfolgskontrolle
Der Kreis Recklinghausen begutachtet alle beernteten, angereicherten und neu angelegten Grünlandflächen und erfasst Zustand und Ernteprozesse detailliert. Dabei werden Zeitpunkt, Methode und Witterung genau protokolliert. Nur so können Fehler erkannt und Erfolge gemessen werden. Das Ziel ist eine artenreich blühende Mähwiese, die in einer extensiven, aber normalen landwirtschaftlichen Nutzung verbleibt.

Auf allen neu entstandenen Ansaat Flächen wird durch die Biologische Station Recklinghausen e.V. jährlich ein Monitoring durchgeführt.  Mit den Ergebnissen soll die Methodik immer auf dem neuesten Stand gehalten und das Prozedere kontinuierlich weiter verbessert werden.

Ausblick
Die Untere Naturschutzbehörde ist vor den Hintergrund der bisherigen Ergebnisse zuversichtlich, dass das bis 2030 gesteckte Ziel von ca. 100 ha artenreich blühenden, extensives traditionell bewirtschaftetem Grünland in den Gewässerauen erreichbar ist.
Nach fünf bis sieben Jahren sollten die aktuell eingesäten Flächen in einem Zustand sein, dass punktuell auch auf diesem Flächen regionales Saatgut gewonnen werden kann. Der Kreis Recklinghausen plant, das gewonnene Saatgut zukünftig auch an Dritte weitergegeben zu können. Dafür soll das regionalgewonnenen Regio-Saatguts in diesem Jahr zertifiziert werden.

Karl Malden
Quelle: Kreis Recklinghausen
Hendrik Thies