Mit der Krise lernen
Da mag man sich verwundert die Augen reiben: Nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie, die zwischenzeitlich das gesamte Wirtschaftsleben beeinträchtigt und zu hohen Zahlen von Kurzarbeit geführt hat sowie vielen Betrieben eine Zwangspause auferlegte, liegt die Arbeitslosenquote im Kreis Gütersloh heute wieder bei 4,1 Prozent und die Zahl der Leistungsberechtigten im Jobcenter des Kreises Gütersloh unter den Vor-Corona-Zahlen. Und dies allen anfänglichen Horror-Szenarien zum Trotz. Was ist da passiert?
Corona-Pandemie trifft Wirtschaft und Arbeitsmarkt
Natürlich hat die Wirtschaftskrise insbesondere während der ersten Phase der Corona-Pandemie auch die Wirtschaft im Kreis Gütersloh hart getroffen, große namhafte Firmen mit hohen Exportanteil mussten genauso Kurzarbeit anmelden wie mittelständische Produktionsunternehmen, Kulturbetriebe, Hotels und Gaststätten. In über 2.600 Betrieben musste im April 2020 für über 32.000 Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet werden. Die Zahl der Arbeitslosen stieg bis Juli 2020 auf über 6000 an, die Arbeitslosenquote auf 5,1 Prozent. Besonders hart traf es die im Kreis Gütersloh stark vertretene Fleischwarenindustrie. In den feucht-kühlen Produktionshallen und den Gemeinschaftsunterkünften der Werkvertragsarbeiter fand das Corona-Virus ideale Verbreitungsbedingungen. Obwohl sich zu Beginn fast ausschließlich Beschäftigte der fleischverarbeitenden Branche infizierten, waren die Bürger des Kreises Gütersloh zeitweilig äußerst ungeliebte Besucher und Gäste im übrigen Bundesgebiet – insbesondere zur Ferienzeit.
Herausforderungen im Jobcenter Kreis Gütersloh
Das kommunale Jobcenter des Kreises Gütersloh
Quelle: Beate Behlert/Kreis Gütersloh
Das kommunale Jobcenter des Kreises Gütersloh sah sich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber: Wieviel Bürger würden nun zusätzliche Leistungen beantragen, wie können Auskunft und Beratung erfolgen, wenn die öffentlichen Verwaltungen grundsätzlich schließen? Alle Abteilungen der Kreisverwaltung waren gehalten, Mitarbeiter für das Corona-Krisenmanagement abzustellen – wie können dennoch die wichtigsten Aufgaben gut bewältigt werden?
Beratungsmöglichkeiten umbauen
Corona-gerechte Beratungsplätze
Quelle: Beate Behlert/Kreis Gütersloh
Unmittelbar nachdem für die Mitarbeiter der Fleischwarenindustrie – vornehmlich ausländische Werkvertragsarbeitnehmer – eine Task-Force eingerichtet wurde, entschied die Geschäftsleitung, die für einen späteren Neubau bereits angedachte Front- und Backoffice-Lösung vorzuziehen. An den drei größten Standorten des Jobcenters wurden nach und nach 14 Beratungsbüros in Eingangsnähe eingerichtet. Ausgerüstet mit Desinfektionsspendern und Hygienewänden sowie guten Belüftungsmöglichkeiten konnten und können dort während der gesamten Pandemiezeit Beratungsgespräche durchgeführt werden. Alle Besucher werden vom Eingang unter Einhaltung eines Mindestabstandes und Tragen des Mund-Nasen-Schutzes abgeholt. Bei der Nutzungsintensität werden die jeweils vorliegende Inzidenzwerte berücksichtigt. Zudem machen etliche Mitarbeiter von der Möglichkeit der Walk &Talk-Beratung Gebrauch, sofern dies die örtlichen Gegebenheiten (z.B. benachbartes Parkgelände) anbieten.
Vermittlungsgespräch in Zeiten von Corona: Ein Arbeitsberater des Jobcenters Gütersloh berät eine Bewerberin.
Quelle: Beate Behlert/Kreis Gütersloh
In den dahinterliegenden Büros der Mitarbeitenden werden seitdem keine Besucher mehr persönlich beraten. Vielmehr erfolgen Beratungsgespräche nach einer (meist) persönlichen Erstberatung entweder persönlich in den Beratungsbüros, telefonisch und seit einigen Wochen auch als Videoberatung. Bei der Video-Beratung wird anfangs eine Einverständniserklärung der Ratsuchenden eingeholt, die dann für den gesamten weiteren Integrationsprozess gilt. Mit Hilfe der Beratung auf allen Kanälen konnte während der gesamten Zeit insbesondere bei den arbeitsmarktnahen und vermittlungsfähigen Leistungsberechtigten ein laufender Integrationsprozess aufrechterhalten werden. Schwierigkeiten in der Kontaktaufnahme gab es hingen insbesondere bei Neuzuwanderern und Flüchtlingen, die zum einen oft ihre Mobilfunknummern wechseln und zum anderen häufig rein sprachlich weniger gut zu erreichen sind.
Chancen von Homeoffice nutzen
Die notwendige Verdichtung in den zurückliegenden Büros (Backoffice) konnte durch die schnelle und unbürokratische Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen ausgeglichen werden. Die IT-Abteilung des Kreises Gütersloh hat hier in kurzer Zeit Hervorrangendes geleistet: Für die vorübergehende Nutzung konnte private Hardware genutzt werden, für eine längerfristige Nutzung wurde allen Mitarbeitern eine komplette zweite Hardwareausstattung durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt. Im Bereich der Materiellen Hilfen war die zuvor erfolgte Einführung der elektronischen Leistungsakte eine Voraussetzung dafür, dass auch im Homeoffice gut, professionell und weitgehend störungsfrei gearbeitet werden konnte. Auch die Erfahrungen mit Homeoffice in der Arbeits- und Ausbildungsberatung sind überwiegend positiv, sofern sie nicht längerfristig als zeitlich überwiegende Arbeitsform genutzt wird. Für persönliche Beratungen, für die Gewährleistung einer ausreichenden Sicherheit während der Beratungszeiten im Jobcenter sowie die Führungsarbeit und persönliche Kontakte und Absprachen unter den Mitarbeitenden bleibt jedoch eine überwiegende Büropräsenz der Mitarbeitenden im Aktivbereich das bevorzugte Arbeitsmodell.
Bei Vermittlung auf Krisengewinner setzen
Bereits im Spätsommer 2020 wurde schnell deutlich, dass insbesondere die gewerbliche Wirtschaft mit den Schwerpunkten Maschinenbau und Metallverarbeitung, Möbelherstellung und die auch Nahrungsmittelherstellung und Fleischindustrie wieder bessere Umsätze verzeichneten und somit wieder Personal suchten. Vor der Haustür des Kreises Gütersloh in Oelde/Westf. hatte zudem der Online-Händler AMAZON ein neues Logistikzentrum errichtet und zum 1. Juli 2020 in Betrieb genommen. Allein hier wurden mehrere hundert Versandmitarbeiter gesucht. Neben dem Online-Handel und der Lager-Logistik-Branche hatten auch die Bau- und Gärtenmärkte sowie das örtliche Handwerk wieder volle Auftragsbücher.
Die Beratung von Flüchtlingen war auch während der Corona-Krise gewährleistet.
Quelle: Beate Behlert/Kreis Gütersloh
Das Jobcenter des Kreises Gütersloh intensivierte daraufhin die Kontakte zu diesen Krisengewinnern. Über die neuen Möglichkeiten wurden alle arbeitsmarktnahen Leistungsberechtigten systematisch informiert. Da die Corona-Pandemie Gruppen-Informationsveranstaltungen nicht zuließ, wurden alle in Betracht kommenden Arbeitssuchenden einzeln, persönlich und/ oder telefonisch, kontaktiert und bei ihren Bewerbungsbemühungen begleitet. Allein bei der Suche von Versandmitarbeiter für AMAZON wurden über 1.000 Leistungsberechtigte beraten, davon haben bis heute rund 300 einen Arbeitsvertrag erhalten, die meisten zunächst befristet, bei rund 220 Personen besteht das Arbeitsverhältnis bis heute. In der Gastronomie hingegen war längere Zeit kaum Beschäftigung möglich. Viele ehemalige Beschäftigte haben sich einen neuen Job gesucht. Nun wird auch hier wieder – zum Teil mit Nachdruck – gesucht. Allerdings kann diese Arbeitskraftnachfrage aus dem Bewerberbestand des Jobcenters kaum mehr bedient werden.
Arbeitsmarktlicher Integrationserfolg in Zahlen
Die arbeitsmarktliche Integrationsquote IQ (sozialversicherungspflichte Arbeitsaufnahme je 100 erwerbsfähige Leistungsberechtige) betrug im Jahr 2020 im Durchschnitt 21,1 Prozent und ist im Kreis Gütersloh gegenüber dem Jahr 2019 mit „nur“ 4,7 Prozent vergleichsweise moderat zurückgegangen. In NRW betrugen die Rückgänge –18,3 und in OWL –17,3 Prozent. Von der anziehenden Arbeitskräftenachfrage profitieren konnten vor allem Männer in Paarbeziehungen ohne Kinder (IQ 37 Prozent) und mit Kindern (IQ 25 Prozent). Die Integrationsquote bei männlichen Flüchtlingen lag mit fast 40 Prozent besonders hoch, bei weiblichen Flüchtlingen mit unter 7 Prozent hingegen besonders schlecht.
Mit Wirtschaftsförderung digitalen Strukurwandel begleiten, Arbeitsplätze aufbauen und sichern
Neben dem Ziel, die vorhanden Beschäftigungsmöglichkeiten mit seinem Jobcenter gezielt und erfolgreich zu nutzen, verfolgt der Kreis Gütersloh weiterhin die Strategie, zusätzliche Arbeitsplätze aufzubauen und zu sichern. So verabschiedete die Gesellschafterversammlung der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises Gütersloh (kurz: prowi) kürzlich ein Konzept, nach dem zukünftig Neugründungen, aber auch bestehende Unternehmen von einem breiter ausgebauten Beratungs-, Veranstaltungs- und Netzwerkangebot noch stärker profitieren sollen. Besonders vor dem Hintergrund des digitalen Strukturwandels, der zahlreiche Herausforderungen für die Unternehmen im Kreis Gütersloh mit sich bringt, soll die prowi zusätzlich bereit gestellte Mittel einsetzen, um neue Arbeitsplätze im Kreis Gütersloh zu schaffen, bestehende zu fördern und diese zukunftssicher auszubauen. Mit der Erarbeitung des Konzeptes wurde bereits vor der Corona-Krise begonnen, die Verabschiedung und die notwendige Bereitstellung von Ressourcen hat jedoch durch die Krise einen besonderen Schub erfahren.
Vier zentrale Punkte sieht das Konzept vor, für das der Kreis Gütersloh ab 2022 jährlich 300.000 Euro und ab 2023 noch einmal zusätzlich 100.000 Euro jährlich bereitstellt:
- Ermutigung und Beratung von Unternehmensgründungen
- Chancen aus zunehmender Digitalisierung und wachsendem Klimaschutz nutzen
- Systematische Unterstützung bei der Beantragung von Fördermitteln
- Entwicklung von wirtschaftlichen Clustern von zusammenarbeitenden Unternehmen und Hochschulen oder Kompetenzzentren.
Der Gütersloher Landrat Sven-Georg Adenauer ist stolz auf sein Jobcenter und auf die Kreiswirtschaftsförderung: „Wir waren im Kreis Gütersloh von der Corona-Pandemie früh und hart betroffen, wir haben uns den Herausforderungen aktiv gestellt, haben in der Krise vieles gelernt und beherzt die richtigen Schritte umgesetzt.“
Rolf Erdsiek - Quelle: Beate Behlert/Kreis Gütersloh