Kreisarchive in NRW: Auf dem Weg vom analogen zum digitalen Archiv
Kreisarchive sind das Gedächtnis der Kreise. Dort finden sich Unterlagen aus den Kommunen und der Kreisverwaltung, die von historischer Bedeutung sind oder aus rechtlichen Gründen dauerhaft aufbewahrt werden müssen. Ergänzend kommen private Nachlässe wichtiger Persönlichkeiten und andere Unterlagen hinzu, die die interkommunale Arbeit widerspiegeln und so einen Zugang für die wissenschaftliche Forschung und für orts- oder familienkundliche Arbeiten bieten.
Das Archivgesetz des Landes verpflichtet die öffentliche Verwaltung, dem jeweils zuständigen Archiv alle Verwaltungsunterlagen anzubieten, damit dieses die relevanten Dokumente auswählen und in seine Obhut übernehmen kann. Die Herausforderung der archivischen Arbeit besteht daher weniger darin, die archivwürdigen Unterlagen von den Verwaltungen zu bekommen. Die eigentliche Herausforderung liegt in der dauerhaften Erhaltung dieser Unterlagen. Denn dazu sind die Archive verpflichtet. In § 5 des nordrhein-westfälischen Archivgesetzes heißt es ausdrücklich: „Archivgut ist auf Dauer sicher zu verwahren. Es ist in seiner Entstehungsform zu erhalten, sofern keine archivfachlichen Belange entgegenstehen.“
Bisher gelangen Verwaltungsunterlagen weit überwiegend in Papierform ins Archiv. Papier „auf Dauer sicher zu verwahren“ ist schwieriger als manchmal vermutet wird. Problematisch ist, dass seit dem Beginn der industriellen Herstellung Mitte des 19. Jahrhunderts Papier Säure enthält, was dazu führt, dass es nach einer gewissen Zeit brüchig wird und schließlich zerfällt. Die Konsistenz dieses Papiers ist also eine Zeitbombe, die auch dann tickt, wenn Archivalien sicher und fachgerecht verpackt sind und bei optimalen Bedingungen gelagert werden.
Mit der „Landesinitiative Substanzerhalt“ (LISE) unterstützt die Landesregierung in Zusammenarbeit mit den Archivberatungsstellen der Landschaftsverbände seit fast fünfzehn Jahren die Archive und ihre Träger dabei, säurehaltige Archivalien mit einem geeigneten chemischen Verfahren zu behandeln und so dem Zerfall des Papiers entgegenzuwirken. Zahlreiche Archive haben mit Hilfe dieses Programms inzwischen wenigstens einen Teil ihrer Unterlagen für die Zukunft sichern können. Aber hier bleibt noch viel zu tun. Das Kulturministerium ist daher im Gespräch mit den Landschaftsverbänden, um die Ende 2019 auslaufende Vereinbarung über die LISE weiterzuentwickeln und zu verlängern. Eine weitere Unterstützung bietet das mit Bundesmitteln finanzierte (und mit Landesmitteln kofinanzierte) Bestandserhaltungsprogramm der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK), das sich nicht nur an Archive, sondern auch an Bibliotheken richtet und ebenfalls einen Schwerpunkt auf die Entsäuerung von Papier legt.
Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung gelangen zunehmend auch digitale Verwaltungsunterlagen in die Archive. Diese dauerhaft zu erhalten, ist eine recht neue Aufgabe und in mehrfacher Hinsicht eine große Herausforderung für das Land wie für die Kommunen. Schon heute können „ältere Daten“ teilweise nicht mehr genutzt werden, weil entweder das Datenformat nicht mehr lesbar ist, entsprechende Hardware fehlt oder die Datenträger so beschädigt sind, dass die Daten verloren sind. Gleichzeitig haben aber das Land und die Kommunen auf Grundlage des Archiv- und des Pflichtexemplargesetzes und aus ihrer kulturpolitischen Verantwortung heraus dafür Sorge zu tragen, das digitale Kulturerbe ebenso zu erhalten und zu sichern wie das analoge.
Die Langzeitarchivierung digitaler Dokumente wie auch die Langzeitsicherung von digitalisiertem analogem Kulturgut erfordern in erster Linie eine technische und organisatorische Infrastruktur. Technisch muss das Problem gelöst werden, wie digitale Inhalte so präpariert werden können, dass sie vollständig und unverfälscht mit neuer Software oder auf neuer Hardware wiedergegeben werden können. Organisatorisch muss vieles sichergestellt werden: zum Beispiel dass anstehende Format- und Technikänderungen rechtzeitig berücksichtigt werden, dass digitale Inhalte mit verbindlichen und standardisierten Metadaten versehen werden, dass diese auch für neue digitale Formate rechtzeitig vereinbart werden, dass geeignete Speicher zur Verfügung stehen und dass redundant gespeichert wird, damit bei auftretenden Fehlern eine Prüfmöglichkeit gegeben ist.
Weil die Aufgabe vielschichtig und komplex ist, haben sich in Nordrhein-Westfalen Land und Kommunen von Beginn an zusammengetan und an einer träger-, sparten- und institutionenübergreifenden Lösung gearbeitet. Denn nicht nur die Archive, auch die Bibliotheken, vor allem die Universitäts- und Landesbibliotheken, und andere Gedächtniseinrichtungen müssen digitales Kulturgut dauerhaft sichern. Und die Anforderungen an die Langzeitsicherung sind für alle im Wesentlichen gleich.
Nach einer Machbarkeitsstudie wurden in einem mehrjährigen Projekt ab 2009 zunächst die Grundanforderungen an ein digitales Langzeitarchiv formuliert. Die unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen der Beteiligten an ein solches Archiv und die Voraussetzungen der Kooperationspartner mussten aufeinander abgestimmt und zu einer gemeinsamen Konzeption zusammengeführt werden. Die Kommunen waren zunächst durch die Landschaftsverbände, später auch durch die kommunalen Spitzenverbände und Vertreter der kommunalen Archive und IT-Dienstleister beteiligt. Wichtig war allen Beteiligten, Kompetenzen zu bündeln, Synergien zu nutzen und Ressourcen zu schonen.
Im September 2015 wurde auf der Grundlage einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen dem Land und dem Zweckverband der kommunalen IT-Dienstleister KDN (als Vertreter der Kommunen) der Dauerbetrieb des Digitalen Archivs NRW (DA NRW) bis zunächst 2019 vereinbart. Seither wurde das DA NRW an vielen Stellen weiterentwickelt. Vor allem aber hat eine ganze Reihe von Einrichtungen, vor allem kommunale Archive, damit begonnen, Inhalte in das Digitale Archiv einzuliefern. Finanziert wird das DA NRW je zur Hälfte vom Land und von den Kommunen.
Die digitale Langzeitarchivierung ist kein vorübergehendes Problem, sondern eine neue Daueraufgabe. Land und Kommunen bereiten sich daher jetzt auf eine Verlängerung der Zusammenarbeit im DA NRW vor. In diesem Zusammenhang wird das bisher Erreichte evaluiert. Vor allem müssen die Finanzierung und die Organisation auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden.
Sobald eine kritische Menge an Inhalten im DA NRW enthalten ist, die auch veröffentlichungsfähig ist (also nicht urheber-, daten- oder archivrechtlichen Schutzbestimmungen unterliegt), sollen diese auch in einem eigenen Portal präsentiert werden, das technisch bereits vorbereitet ist. Dieses Portal soll dann auch als Aggregator für die Zulieferung an weitere Portale wie die Deutsche Digitale Bibliothek oder die europeana dienen.
Insgesamt hat sich die kooperative Herangehensweise, für die das DA NRW steht, bewährt und als zukunftsfähig erwiesen. Ich bin zuversichtlich, dass wir damit eine sehr gute Lösung für den Erhalt des digitalen schriftlichen Kulturerbes gefunden haben, die allerdings ständig gepflegt und weiterentwickelt werden muss. Dafür bedarf es der fachlichen Expertise der Archive und anderer Kultureinrichtungen ebenso wie der Informatiker. Dafür bedarf es aber auch einer ausreichenden finanziellen Ausstattung, die Land und Kommunen bereitstellen müssen.
Isabel Pfeiffer-Poensgen
Quelle: MKW NRW