Kinder- und Jugendbeteiligung im ländlichen Raum: Notwendigkeit und Herausforderungen

17. Oktober 2024: Von Christian Schindler, Fachberatung - Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung in NRW, Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist nicht nur ein gesetzlicher Auftrag, sondern auch eine notwendige Maßnahme, um der „demokratischen Krise“, die oft in politischen Diskussionen thematisiert wird, entgegenzuwirken. Besonders in ländlichen Regionen in NRW, die durch den demografischen Wandel stark geprägt sind, wird die Beteiligung junger Menschen immer relevanter. Das aktuelle Diskussionspapier des Bundesjugendkuratoriums (BJK) zur Generationengerechtigkeit betont, dass eine demografische Sichtweise die Zukunftsprobleme unserer Gesellschaft treffend analysiert. Diese Perspektive ist unerlässlich, um eine Jugend zu stärken, die derzeit wenig beteiligt wird, jedoch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen soll.

Generationsbedingte Schieflage der Demokratie
Mit dem Rückgang und der Alterung der Bevölkerung werden Kinder und Jugendliche zunehmend zur Minderheit. Das BJK beschreibt eine „generationale Schieflage der Demokratie“, die sich durch den demografischen Wandel verstärkt. In Deutschland ist mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten älter als 53 Jahre, während nur 14 Prozent der Wählerschaft unter 30 Jahre alt sind. Diese altersbedingte Disparität führt dazu, dass die Interessen und Belange jüngerer Menschen in demokratischen Prozessen unterrepräsentiert sind. Dies birgt die Gefahr, dass politische Entscheidungen weniger zukunftsorientiert und dynamisch werden, da die Perspektiven der jüngeren Generationen nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Aufwachsen in Widersprüchen und die Zuschauerrolle der jungen Generation
Das BJK-Diskussionspapier thematisiert zudem die „Zuschauerrolle“ der jungen Generation in einer alternden Gesellschaft. Jüngere Generationen werden in eine passive Rolle gedrängt, in der ihre Interessen wenig berücksichtigt werden. Gleichzeitig sind sie diejenigen, die am stärksten von aktuellen Krisen und politischen Entscheidungen betroffen sein werden. Es bedarf daher eines „politischen Updates“ der Generationengerechtigkeit, um die Rechte der jungen Generation explizit zu stärken und ihre Beteiligung an demokratischen Prozessen zu fördern.
Laut dem 17. Kinder- und Jugendbericht besteht die Herausforderung darin, dass „die Beteiligung nicht nur eine Frage der Rechte, sondern auch der praktischen Umsetzung in allen Bereichen der Gesellschaft“ ist. Junge Menschen zeigen ein hohes Interesse an politischen Themen, fühlen sich jedoch oft unzureichend einbezogen, was ihre Skepsis gegenüber dem Funktionieren der Demokratie verstärkt.

Beteiligung als Schutz gegen Radikalisierung und politische Abstinenz
Die mangelnde Einbindung der jungen Generation in demokratische Entscheidungsprozesse kann politische Abstinenz oder sogar Radikalisierung fördern. Das Gefühl, nicht gehört zu werden, trägt dazu bei, dass junge Menschen sich von der Demokratie entfremden. Das BMFSFJ hebt hervor, dass „demokratische Bildung nur dann erfolgreich sein kann, wenn junge Menschen erfahren, dass sie gehört, ernstgenommen und beteiligt werden“. Eine aktive Beteiligung stärkt die demokratische Bildung und wirkt präventiv gegen Extremismus.

Spezifische Herausforderungen des Aufwachsens im ländlichen Raum
In ländlichen Regionen fühlen sich viele Jugendliche von den politischen Entscheidungsträgern nicht ernst genommen. Freizeitangebote und öffentliche Infrastruktur, wie etwa der Nahverkehr, orientieren sich häufig an den Bedürfnissen älterer Menschen. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) fühlen sich junge Menschen im ländlichen Raum im Vergleich zu ihren Altersgenossen in der Stadt benachteiligt. Fehlende Jugendtreffs, mangelnder öffentlicher Nahverkehr und unzureichende digitale Infrastruktur wie WLAN sind häufige Probleme. Diese Faktoren führen dazu, dass Jugendliche häufiger das Bedürfnis verspüren, in städtische Gebiete abzuwandern.

Beteiligung auf Kreisebene: Eine notwendige Steuerung für die Sozialräume
Um die Herausforderungen in der Kinder- und Jugendbeteiligung zu bewältigen, ist eine klare Steuerung innerhalb der Jugendämter erforderlich. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss als Querschnittsaufgabe verstanden werden, die Unterstützung von Führungskräften benötigt. Ein Beispiel hierfür ist der Jugendkreistag im Kreis Unna, der in Arbeitsgruppen organisiert ist und direkte Diskussionen mit dem Landrat ermöglicht. Auch im Kreis Mettmann arbeitet der Kreisjugendrat nach einem ähnlichen Gremienmodell. Diese Formate orientieren sich oft an den Strukturen der Erwachsenen, können aber viel bewirken und einen Dialog auf Augenhöhe fördern.
Der Kreis Steinfurt setzt auf einen sozialraumorientierten Ansatz, indem das Jugendamt Kooperationen mit Schulen eingeht. Ein Projektansatz aus 2023 ermöglichte es Kindern und Jugendlichen, den Jugendhilfeausschuss des Kreises zu treffen. In Paderborn koordiniert eine Jugendbeteiligungskonferenz erfolgreich lokale Beteiligungsformate und bietet eine Plattform zur Vernetzung. Starke Partnerschaften wie mit dem Kreisjugendring Siegen-Wittgenstein ermöglichen es Bedürfnissen von jungen Menschen adäquat zu begegnen.
Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Methode der Beteiligung. Kinder, Jugendliche und Entscheidungsträger müssen gemeinsam geeignete Wege und Formate finden. Die Verantwortung für den Prozess liegt bei den Hauptamtlichen und Entscheidungsträgern, die transparente Rahmenbedingungen schaffen müssen. Externe Unterstützung gibt es beispielsweise durch das LWL-Programm „Partizipation und Demokratie fördern“, das gezielt Projekte unterstützt, die die Beteiligung junger Menschen fördern.

Fazit: Netzwerke
Auf kommunaler Ebene spielen Jugendämter, Jugendverbände, Vereine und freie Träger wie Kirchen eine wichtige Rolle. Sie sind oft die einzigen Akteure, die vor Ort präsent sind und eine Verbindung zu den Jugendlichen haben. Eine erfolgreiche Kinder- und Jugendbeteiligung im ländlichen Raum erfordert Koalitionen aus diesen Akteuren. Sie müssen gemeinsam Strategien entwickeln, um die Anliegen der Jugendlichen in die kommunalen Entscheidungsprozesse zu integrieren. Ein Netzwerkansatz, der durch ein gemeinsames Grundverständnis, Zielsetzungen, Koordination und transparente Kommunikation geprägt ist, schafft Vertrauen und verbessert die Qualität der Jugendbeteiligung.
Unterstützungsangebote wie die der Servicestellen für Kinder- und Jugendbeteiligung in NRW gefördert durch das MKJFGFI spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie helfen dabei, die aktuelle Situation zu analysieren und gemeinsame Schritte zu planen. Durch diese Netzwerke und Kooperationen kann eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im ländlichen Raum gewährleistet werden.


Christian Schindler
Quelle: LWL