Individuelle Übergangsbegleitung – Möglichkeiten und Grenzen im Rahmen von KAoA
Der Artikel geht der Frage nach, wie sich eine effektive individuelle Übergangsbegleitung im Rahmen von „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) in dem Spannungsfeld zwischen Standardelementen für alle Schülerinnen und Schüler und dem steigenden individuellen Unterstützungsbedarf von Jugendlichen umsetzen lässt. Er zeigt auf, welche Unterstützungsformen derzeit bestehen und stellt einen Ansatz der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit vor, der dazu beitragen kann, die bestehende Lücke zwischen Bedarf und Angebot zu verkleinern.
Individuelle Angebote trotz KAoA-Standardelementen für alle?
Ziel der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) ist ein strukturierter, zielgerichteter Übergangsprozess, der es den jungen Menschen ermöglicht, eine individuell passende Anschlussperspektive für sich zu entwickeln. Dazu werden standardisierte Elemente wie die Potenzialanalyse und Praxisphasen in der Studien- und Berufsorientierung ab der achten Klasse zur Entscheidungsfindung eingesetzt - und zwar gleichermaßen für alle Schülerinnen und Schüler. Wunderbar möchte man meinen, so erhalten alle die gleichen Chancen in der Vorbereitung ihrer Berufswahlentscheidung. Das stimmt, ist aber nur die halbe Wahrheit.
Orientierung an der Lebensrealität von jungen Menschen
Sicherlich legen die Standardelemente in Schule eine gute gemeinsame Grundlage für die Orientierung im Hinblick auf die Frage, wie es denn nach der Schule weitergehen soll. Die individuellen Lebensumstände von Schülerinnen und Schülern jedoch sind unterschiedlich. Neben Einflussfaktoren wie sprachlichen Barrieren, kognitiven und körperlichen Einschränkungen und dem sozialen Umfeld spielen auch persönliche Problemstellungen in Familie und / oder Freundeskreis im Leben von Jugendlichen eine große Rolle. Hier können Probleme, die auf den ersten Blick nichts mit Berufsorientierung zu tun haben, dennoch Auswirkungen darauf haben, wie gut eine Schülerin oder ein Schüler sich auf schulische Fragen konzentrieren kann. Daher ist häufig auch ein individueller Ansatz erforderlich.
Der individuelle Ansatz in KAoA wird zum Beispiel über differenzierte Potenzialanalysen und trägergestützte Angebote als Ersatz oder Ergänzung zu Berufsfelderkundungen in Betrieben aufgegriffen. Beratungsangebote der Agentur für Arbeit leisten ebenfalls einen Beitrag zur Betrachtung des individuellen Einzelfalls. Dennoch stellen Schulen, Jugendämter und Jobcenter in ihrer täglichen Arbeit immer wieder fest, dass es Jugendliche gibt, die die schulischen Angebote und die beruflichen Anschlussmaßnahmen nicht nutzen können oder wollen. In diesen Fällen sind individuelle Ansätze und Unterstützungsmechanismen gefragt.
In den letzten beiden Jahren kommen erschwerend die Negativfolgen der Corona-Pandemie wie Kontaktbeschränkungen, Distanz-Unterricht, soziale Einsamkeit für Schülerinnen und Schüler hinzu. Auch im Übergang Schule - Beruf konnten viele Angebote nicht wie gewohnt durchgeführt werden. Die normalerweise so wichtige Praxiserfahrung in Betrieben zum Beispiel konnte nicht oder nur sehr eingeschränkt ermöglicht werden. Dadurch verstärkt sich noch einmal die Bedeutung individueller Unterstützungsangebote.
Bausteine für eine individuelle Übergangsgestaltung
Im Rahmen von KAoA werden verschiedene Bausteine zur individuellen Begleitung im Übergang Schule - Beruf angeboten und durch Maßnahmen auf der kommunalen Ebene ergänzt.
Berufseinstiegsbegleitung
Die Berufseinstiegsbegleitung richtet sich an Jugendliche, die einen Unterstützungsbedarf beim Erreichen des Schulabschlusses oder beim Übergang haben. Sie soll vorrangig dazu beitragen, die Chancen der Schülerinnen und Schüler auf einen erfolgreichen Übergang in eine betriebliche Berufsausbildung zu verbessern.
Im Kreis Steinfurt werden derzeit 124 Schülerinnen und Schüler an 20 Schulen durch eine Berufseinstiegsbegleiterin / einen Berufseinstiegsbegleiter des Trägers Lernen fördern e.V. mit einem Betreuungsschlüssel von 1:25 unterstützt. Dem steht ein aus Schule gemeldeter Bedarf von ca. 580 Plätzen gegenüber.
Matchingberatung
Ziel der Matchingberatung ist es, bis Ende 2021 konkrete offene Ausbildungsplätze mit geeigneten Jugendlichen zu besetzen. Corona-bedingt haben Betriebe Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsstellen. Hier identifiziert der Matchingberater der Kreishandwerkerschaft Steinfurt - Warendorf ausbildungsfähige Jugendliche und führen Ausbildungsbetriebe und ausbildungsinteressierte junge Menschen zusammen. Die Ansprache der Jugendlichen erfolgt überwiegend an den Berufskollegs. Es konnten bislang über diesen Weg etwa 20 Jugendliche in Ausbildung vermittelt werden.
Übergangsbegleitung nach Corona
Um die Folgen von Corona für die Situation am Ausbildungsmarkt abzufedern, werden ab sofort bis Oktober 2022 in dem Projekt „Übergangsbegleitung“ ausbildungswillige und ausbildungsreife Jugendliche auf ihrem Weg in eine duale Ausbildung begleitet. Dieses Angebot wird ebenfalls von der Kreishandwerkerschaft Steinfurt - Warendorf als Träger mit drei Personalstellen und einem Beratungsschlüssel von ca. 1:120 umgesetzt.
Initiativen vor Ort
Neben den Förderprogrammen des Landes werden im Übergang Schule - Beruf auch Angebote in den kreisangehörigen Kommunen vor Ort durchgeführt.
In der Stadt Greven beispielsweise begleiten ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren in dem als gemeinnütziger Verein organisierten Projekt „McJob“ ihre Mentees ganz individuell. Die Coaches sind in der Regel vor Ort mit vielfältigen Kontakten gut vernetzt und stehen gegenüber Betrieben mit ihrem Namen hinter dem Schüler und der Schülerin.
Ein weiteres Beispiel gibt es in Rheine, wo der Sportverein FC Eintracht Rheine e.V. nach dem Motto „Fußball ist mehr!“ über den so genannten Initiativkreis FCE ein Angebot für Jugendliche entwickelt hat, um diese neben der sportlichen Betreuung auch bei der Vermittlung von Werten und bei der beruflichen Orientierung zu begleiten.
Rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht individuellen Ansatz
Der Fokus der aufgezeigten Projekte liegt in der Regel auf der Vermittlung in Ausbildung. Die Erfahrung in Schule zeigt aber auch, wie wichtig eine frühzeitige Identifizierung von Schülerinnen und Schülern ist, die aus unterschiedlichen Gründen in der Schule zu scheitern drohen oder einen Unterstützungsbedarf aufweisen. Dieser Aufgabe widmen sich in Schule sowohl Lehrkräfte als auch Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter. Dabei gibt es immer wieder Berührungspunkte mit der Frage, wie es nach der Schule weitergehen kann. Aber auch wenn die Frage nach einer Anschlussperspektive noch nicht aktuell ist, ist es wichtig, Schülerinnen und Schülern im Sinne einer ganzheitlichen Förderung rechtzeitig Unterstützung anzubieten, damit sie in die Lage versetzt werden, ihren Schulabschluss zu erwerben und eine Lebensperspektive zu entwickeln. An dieser Schnittstelle setzt im Kreis Steinfurt das Projekt Dock 14 an.
Flyer Dock 14.
Quelle: Ev. Jugendhilfe Münsterland gGmbH
Dock 14 als rechtskreisübergreifendes Pilotprojekt
Die Ursachen für einen Unterstützungsbedarf bei Schülerinnen und Schülern können psychischer oder sozialer Art sein, in der Schule, im Elternhaus, in der Peergroup oder beim Kind selbst liegen. Es geht daher um eine individuelle und an den Stärken und Lernfeldern der jungen Menschen ausgerichtete langfristige Hilfestellung - von der siebten Klasse bis zur Erfüllung der Berufsschulpflicht und unabhängig von der Rechtskreiszugehörigkeit.
Dieser rechtskreisübergreifende Ansatz wird zunächst bis Ende 2022 in den Projektkommunen Steinfurt, Neuenkirchen und Nordwalde in Kooperation mit einer Hauptschule, einer Realschule, einer Sekundarschule und einer Gesamtschule erprobt. Die Umsetzung erfolgt durch den Träger Evangelische Jugendhilfe Münsterland gGmbH. Derzeit sind 23 Schülerinnen und Schüler in der Beratungsphase. In 5 Fällen wird gerade die Zusammenarbeit angebahnt und 2 Jugendliche stehen kurz vor dem Ende ihrer begleiteten Zeit.
Der Betreuungsumfang ergibt sich aus den individuellen Bedarfen der teilnehmenden Jugendlichen. Ein Zuweisungsgremium, bestehend aus Schule, Träger, Jugendhilfe und Jobcenter, entscheidet über die Verteilung der zur Verfügung stehenden Stunden auf die Schulen und Teilnehmenden.
Die professionelle Begleitung basiert auf den Ressourcen Zeit, Beziehung und Kontinuität, so dass eine vertrauensvolle Basis entsteht, um lösungsorientierte und auf positive – kleinschrittige – Effekte ausgerichtete Erfahrungen wie Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Die Reflexionsfähigkeit wird gestärkt, und Jugendliche haben die Möglichkeit, eine ganzheitliche Perspektivplanung für sich zu entwickeln.
Fazit
Um den unterschiedlichen Bedarfen von Schülerinnen und Schülern im Übergangsprozess von der Schule in den Beruf gerecht werden zu können, braucht es verschiedene Instrumente der individuellen Übergangsbegleitung. Jeder vorhandene Baustein der individuellen Übergangsbegleitung hat seine Berechtigung und erfüllt einen bestimmten Aspekt.
Für Jugendliche in Problemsituationen ist eine bedarfsgerechte, einzelfallbezogene Betreuung wichtig. Das Ziel in KAoA, dass niemand ohne eine konkrete Anschlussperspektive die Schule verlassen soll, muss sich auch in den Anstrengungen für besonders benachteiligte Jugendliche wiederspiegeln. Der ungedeckte Bedarf bei der Berufseinstiegsbegleitung zeigt, dass in diesem Punkt noch Handlungsbedarf besteht.
Der Kreis Steinfurt übernimmt hier bereits Verantwortung und stellt Finanzmittel für das Projekt Dock 14 bereit. Wünschenswert wäre eine stärkere Verzahnung von kommunalem und landesseitigem Engagement bei Angeboten, die zwar nicht für die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler zum Tragen kommen, aber dennoch gesamtgesellschaftlich einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Menschen ein selbstbestimmtes Leben unabhängig von staatlicher Förderung führen können.
Martina Vennemeyer
Quelle: Kreis Steinfurt