Gedenkzeichen für NS-Opfer im Neandertal
Neben ihren grundlegenden archivischen Aufgaben erforschen Archivarinnen und Archivare auch die Geschichte ihres lokalen und regionalen Umfelds und initiieren historische Projekte und Publikationen im Rahmen der Bildungsarbeit mit Schulen, Vereinen und der interessierten Öffentlichkeit. Als Beispiel für diese Aufgabe soll das – zur Zeit noch laufende – Projekt der Aufstellung eines Gedenk- und Erinnerungszeichens im Neandertal in Mettmann vorgestellt werden, das an verschiedene NS-Verbrechen und -Opfergruppen erinnern wird (u. a. an die Verfolgung politisch Andersdenkender – vor allem von Kommunisten –, an deutsche Rückwanderer aus dem Ausland und an Zwangsarbeiter in den Kalksteinbrüchen).
Kreisarchive haben zahlreiche Aufgaben und Funktionen zu erfüllen, die im Archivgesetz Nordrhein-Westfalen definiert sind. Neben der klassischen Bewertung, Übernahme, Erschließung und Bewahrung der amtlichen Überlieferung der Kreisverwaltungen gehören auch historische Forschungsarbeit und deren Darstellung und Vermittlung in der Öffentlichkeit zum Aufgabenkanon. Gerade die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit führt dazu, dass Archive nicht nur von der Bürgerschaft wahrgenommen werden, sondern auch von den Verantwortlichen in Kreistagen und Verwaltungen.
Historischer Hintergrund
Im Neandertal, das im Kreis Mettmann liegt, sind während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 zahlreiche Verbrechen durch die SA, die Gestapo und andere NS-Institutionen an unschuldigen und wehrlosen Menschen verübt worden.
Die SA nahm 1933 auf der sogenannten „Koburg“ – sie war für einige Monate Sitz der SA-Standarte 258 – politische Gegner gefangen, misshandelte und folterte viele von ihnen. Mehrere Menschen kamen durch die erlittenen Verletzungen ums Leben oder begingen in den Wochen danach traumatisiert durch die Folterungen Selbstmord.
Zwischen 1936 und 1942 gab es im Neandertal ein Rückwandererheim der Auslandsorganisation der NSDAP, in dem Reichsdeutsche, die aus dem Ausland zurückkehren mussten, vorübergehend für einige Tage oder Wochen untergebracht wurden. Im Rahmen des Eingliederungsverfahrens verhörte die Gestapo Düsseldorf die Rückwanderer, nahm Verdächtige in Schutzhaft und brachte sie in Konzentrationslager. Dort sind vier Rückwanderer umgebracht worden, weitere vier haben die Konzentrationslager überlebt.
In den Neandertaler Kalksteinbrüchen mussten Menschen unterschiedlicher Nationalität schwerste Zwangsarbeit leisten, die bei einigen Arbeitern wegen der schlechten Lebensbedingungen und Ernährungslage zum Tod führte. Noch kurz vor Kriegsende wurde ein junger Mann von 18 Jahren wegen Fahnenflucht erschossen.
Vorgeschichte des Projektes
Die Fraktion „Die Linke“ im Kreistag des Kreises Mettmann hat im Oktober 2014 vorgeschlagen, an all diese Verbrechen durch die Aufstellung zweier Gedenktafeln in der Nähe des Neandertalmuseums zu erinnern. Der Kreistag hat dem Antrag einstimmig zugestimmt und das Kreisarchiv damit beauftragt, die historischen Hintergründe zu erforschen und Textvorschläge für die Gedenktafeln zu erstellen.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens kam der Wunsch auf, statt zweier Gedenktafeln nur ein künstlerisch gestaltetes Gedenkzeichen mit einer Widmungstafel zu errichten. Da die Aufstellung von den noch laufenden Bauarbeiten im Umfeld des Museums abhängig ist, war und ist genügend Zeit, die historischen Umstände genauer zu erforschen und die Gestaltung des Gedenkzeichens zu planen.
Modellfoto des Gedenkzeichens „Heller Schatten“ von Franziska Peter
Quelle: Franziska Peter
Künstlerwettbewerb
Zur Gestaltung des Gedenkzeichens hat der Kreis Mettmann im Jahr 2017 einen künstlerischen Wettbewerb ausgelobt, der mit Preisgeldern für die drei Siegerentwürfe dotiert war. Professionelle KünstlerInnen und BilderhauerInnen aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland haben über fünfzig Vorschläge eingereicht. In der Jury, die die Vorschläge zu bewerten hatte, war auch das Kreisarchiv vertreten. Die Aufstellung des Gedenkzeichens ist momentan für das Frühjahr 2020 geplant. Es wird sich an zentraler Stelle auf dem Weg vom Besucherparkplatz zum Neandertalmuseum befinden. Gewonnen hat der Wettbewerbsbeitrag mit dem Titel „Heller Schatten“ der Berliner Künstlerin Franziska Peter – eine lebensgroße Figur aus Glas, die als Silhouette den Umriss eines Menschen in Handfesseln zeigt (siehe Abbildung).
Das Kreisarchiv als Geschichts- und Erinnerungsinstitution
Seit Herbst 2017 ist das Kreisarchiv intensiv damit beschäftigt, die Verbrechen der Nationalsozialisten zu erforschen und die Namen und Biographien von Opfern zu ermitteln. Notwendig sind dazu Recherchen in verschiedenen Archiven – unter anderem in den Stadtarchiven im Kreis Mettmann, im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abt. Rheinland, im Bundesarchiv am Standort Berlin, im Archiv des Internationalen Suchdienstes in Arolsen und natürlich im eigenen Kreisarchiv. Ziel ist, zur Aufstellung des Gedenkzeichens im Frühjahr 2020 eine Geschichte der im Neandertal geschehenen Verbrechen in gedruckter und digitaler Form herauszugeben. Darin sollen vor dem Hintergrund der deutschlandweiten Ereignisse sowohl die Opfer, ihre Biographien und ihre Leidenswege dargestellt und gewürdigt werden als auch die Vorgehensweise und die Zusammenarbeit der beteiligten kommunalen und staatlichen Institutionen sowie der NS-Verbände (z. B. der SA) aufgezeigt werden.
Nun kann man zu Recht fragen, ob ein solches Projekt noch zur eigentlichen Archivarbeit zu zählen ist. Ich würde diese Frage auf jeden Fall bejahen. Archive sind als Gedächtnis- und Erinnerungsinstitutionen nicht nur dafür zuständig, schriftliche und bildliche Unterlagen, Bilder und Informationen zu archivieren und zu sammeln, sondern sie sind auch dafür verantwortlich, dieses historische Erbe in der Gegenwart zu vermitteln und in die Zukunft weiterzugeben. Schon Wilhelm von Humboldt hat gesagt: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Daher gehört zu den grundlegenden Aufgaben der Archive auch die Forschungsarbeit zur Geschichte des lokalen und regionalen Umfelds sowie die Vermittlung und Veröffentlichung der daraus gewonnenen Erkenntnisse (§ 2 Abs. 7 Archivgesetz Nordrhein-Westfalen).
Gerade die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit, wie der NS-Zeit, und ihre Sichtbarmachung in Publikationen, Ausstellungen, im Internet oder in Gedenkzeichen sollen dazu beitragen, die Demokratie und das Demokratieverständnis in der Bürgerschaft zu fördern und zu stärken. Die in den Archiven vorhandenen und allen Interessierten zur Verfügung stehenden Informationen und das historische Wissen des lokalen und regionalen Umfelds tragen zum Verständnis aller Lebensbereiche bei. Dazu ist auch ein künstlerisch gestaltetes Gedenkzeichen an die Opfer der NS-Diktatur in Verbindung mit entsprechenden Vermittlungsangeboten in besonderer Weise geeignet. Es kann und soll als zentraler Ausgangspunkt und als außerschulischer Lernort für die historische Bildungsarbeit dienen.
Historische Bildungsarbeit
Deshalb möchte das Kreisarchiv Mettmann in den kommenden Jahren ein differenziertes Bildungsangebot rund um das neue Gedenkzeichen etablieren. Damit sollen verschiedene Zielgruppen angesprochen werden.
Die Vermittlung beginnt am Gedenkzeichen durch eine Texttafel mit einer entsprechenden Widmung und den wichtigsten historischen Informationen. Sinn und Zweck des Gedenkzeichens müssen dem vielleicht unkundigen Betrachter erläutert werden. Das Kunstwerk selbst soll für das Thema Interesse wecken, sensibilisieren und zum Nachdenken anregen. Hinweise auf weitere und tiefergehende Informationen zur Geschichte (z. B. im Internet oder in Apps für Smartphones) sind ebenfalls im Umfeld des Gedenkzeichens bereitzustellen. Dies kann beispielsweise ein QR-Code auf der Texttafel sein und/oder eine wettergeschützte Box, in der ein Flyer zum Mitnehmen bereitgestellt wird. Der Flyer soll in übersichtlicher Form die Geschichte der NS-Verbrechen kurz darstellen, Informationen zu den historischen Orten geben, Kontaktdaten für Nachfragen und im besten Falle auch aktuelle Veranstaltungen anbieten.
Angebote vor Ort können regelmäßige Vorträge (z. B. im Neandertalmuseum) oder geführte Wanderungen zu den authentischen Orten im Neandertal sein. Möglich sind auch Gedenkveranstaltungen, die an den bekannten und bundesweiten Gedenktagen durchgeführt werden – zum Beispiel am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Für Schulen werden außerdem mit Hilfe der „BIPARCOURS-App“ – ein Lernwerkzeug von Bildungspartner NRW – eine oder ggf. mehrere Touren eingerichtet, die Schülerinnen und Schüler mit Quizanwendungen, Themenrallyes, Führungen und Rundgängen spielerisch an die Thematik heranführen sollen. Auch für andere Interessierte wird es ähnliche mobile Angebote geben.
Chancen und Möglichkeiten für das Kreisarchiv
Für das Kreisarchiv bieten sich durch die Installation eines Gedenkzeichens und die geplante Vermittlungsarbeit viele Chancen und neue Möglichkeiten.
Das Kreisarchiv Mettmann ist bisher in der geschichtsinteressierten Öffentlichkeit vergleichsweise wenig bekannt. Erste Ansprechpartner für historische Fragestellungen sind im Kreisgebiet eher die Stadtarchive. Nachdem das Kreisarchiv schon durch seine Wanderausstellung „200 Jahre Kreis Mettmann“ im Jahr 2016 versucht hat, seinen Bekanntheitsgrad zu steigern, könnte ein solches Gedenkzeichen die Außenwirkung weiter verstärken und das Archiv als Informations- und Dokumentationszentrum für historische Fragestellungen und Themen etablieren.
Gleichzeitig ist der Themenkomplex „NS-Zeit“ prädestiniert dafür, die Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Bildungsinstitutionen zu suchen und auszubauen. Die geplanten weiterführenden Angebote sollen gerade diese Zielgruppen ansprechen und damit auch das Profil des Kreisarchivs als kompetenter Partner für historische Bildungsarbeit stärken.
Joachim Schulz-Hönerlage
Quelle: Kreis Mettmann