Erfolgreiches Pilotprojekt zur Wanderbeweidung im Rhein-Sieg-Kreis verstetigt
Das Naturschutzprojekt chance7 des Rhein-Sieg-Kreises (RSK) hat zum Ziel, Natur- und Landschaftsräume zwischen Siebengebirge und Sieg nachhaltig zu fördern und die Lebensräume bedrohter Arten zu optimieren. Mit dem Zugriff auf wichtige Schlüsselflächen zum Biotopverbund gelang es, ehemalige Offenlandbereiche wiederherzustellen und die Standortqualität für bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu verbessern.
Die Herausforderung besteht darin, die Offenhaltung und Pflege dieser Lebensräume über die Projektlaufzeit hinaus dauerhaft sicherzustellen. Aufgrund der erschwerten Erreichbarkeit der Flächen und den teilweise steilen Hanglagen war dies nur über eine Wanderbeweidung zu leisten. Das Anfang 2023 gestartete und erfolgreich verlaufene Pilotprojekt mit einer Wanderherde aus Schafen und Ziegen wurde durchgeführt, um die Umsetzung eines flexiblen Weidemanagements in der Praxis zu erproben. Die Verstetigung der Wanderbeweidung wird mit Mitteln aus dem Förderinstrument des Vertragsnaturschutzes des Landes NRW und landwirtschaftlichen Prämien sichergestellt.
Wanderbeweidung an den Hanglagen des Rhein-Sieg-Kreises
Quelle: Rhein-Sieg-Kreis
chance7: Naturschutz zwischen Siebengebirge und Sieg
Das mit Mitteln des Bundesumweltministeriums und des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes NRW geförderte Naturschutzgroßprojekt chance7 des RSK und der Bundesstadt Bonn verfolgt das Ziel, Natur- und Landschaftsräume von bundesweiter Bedeutung zwischen dem Siebengebirge und mittleren Sieg nachhaltig zu fördern. Der Fokus liegt darauf, die Lebensräume gefährdeter Arten zu optimieren und dauerhaft zu erhalten. Mit dem Zugriff auf Schlüsselflächen über Grunderwerb und vertragliche Vereinbarungen vor allem mit öffentlichen Eigentümern entlang des vorgesehenen Biotopverbundkorridors konnten ehemalige Offenlandbereiche in den Kommunen Königswinter, Bad Honnef und dem rechtsrheinischen Bereich von Bonn wiederhergestellt werden. In einem ersten Schritt erfolgte dies durch biotopersteinrichtende Maßnahmen wie Freistellungen von Gehölzaufwuchs, Einsaaten und mehrjährige Entwicklungspflege. Diese Flächen, darunter brachgefallene Weinberge, ehemalige Steinbrüche, Heide- und Magerwiesen sowie Waldwiesen, dienen als wichtige Habitate sowie zur Biotopvernetzung für gefährdete Tier- und Pflanzenarten wie Mauereidechsen und Orchideen. Die Herausforderung bestand nun darin, die dauerhafte Offenhaltung und Pflege dieser Lebensräume über die Projektlaufzeit von chance7 hinaus sicherzustellen.
Herausforderungen bei der Pflege ökologisch wertvoller Bereiche
Einige der ökologisch wertvollsten Bereiche liegen in steilen Hanglagen, die eine klassische maschinelle Mahd nahezu unmöglich machen, und selbst die Pflege über Handmahd gestaltet sich extrem schwierig. Die Offenhaltung dieser Lebensräume erfolgt in der Regel durch eine kombinierte Schaf- und Ziegenbeweidung. Der Anteil an Ziegen in der Schafherde sorgt dafür, dass auch Brombeeren und Stockausschläge invasiver Arten wie Robinien insbesondere in steileren Lagen effektiv verbissen werden. Da einige der Flächen im Verbreitungsgebiet des Wolfes liegen und in dem schwierigen Gelände kein wolfsabweisender Zaun errichtet werden kann, war der Einsatz von Herdenschutz- und Hütehunden erforderlich. Die Beweidungsdauer sollte dabei so gering wie möglich gehalten werden, um negative Auswirkungen auf Flora und Fauna zu minimieren. Die Durchführung einer Stoßbeweidung über eine Wanderherde mit hoher Besatzdichte aber kurzer Beweidungsdauer wurde daher als optimale Lösung erachtet. Standorte mit bedrohten Pflanzenbeständen wurden im Vorfeld identifiziert, um deren Erhalt durch geeignete Maßnahmen während der Beweidung sicherzustellen. Schützenswerte Gehölze wie Elsbeere und Speierling wurden mit einem Verbissschutz versehen. Die Beweidung sollte ohne mobile Weidezelte erfolgen, da der natürliche Witterungsschutz durch vorhandene Überhälterbäume auf den Flächen genutzt werden konnte. Die Wasserversorgung der Tiere wurde durch natürliche Gewässer oder mobile Tränken sichergestellt. Der Tierhalter hat generell für die Gesundheit und artgerechte Haltung der Tiere zu sorgen. Dies setzt u.a. voraus, dass ausreichend Stallfläche für die Winterhaltung vorhanden ist, sämtliche Tiere Ohrmarken tragen, ein Bestandsregister geführt wird und eine regelmäßige Betreuung durch einen Bestandstierarzt erfolgt. Weiterhin ist vom Schäfer eine Triebgenehmigung beim Veterinäramt einzuholen, eine veterinärmedizinische Eingangsuntersuchung sowie eine Impfung aller eingesetzten Weidetiere gegen die Blauzungenkrankheit durchzuführen.
Pilotprojekt Wanderbeweidung: Erfahrungen und positive Resonanz in der Region
Da eine Pflege der Flächen über die im RSK bereits etablierte Wanderschafhaltung der Biologischen Station aus Kapazitätsgründen ausschied, wurde Mitte des Jahres 2022 unter den genannten Rahmenbedingungen eine einjährige Beweidung als Pilotprojekt für 2023 auf insgesamt 35 ha ausgeschrieben. Ziel war die langfristige Zusammenarbeit mit einem weiteren Schäfereibetrieb, um die Folgepflege der hergestellten Lebensräume über die Projektlaufzeit von chance7 hinaus zu gewährleisten. Die Bereitschaft des Tierhalters, die Beweidungsdauer flexibel an lokale und naturschutzfachliche Anforderungen anzupassen, war entscheidend. Das Pilotprojekt diente dazu, die Umsetzung dieses flexiblen Weidemanagements nach naturschutzfachlichen Vorgaben in der Praxis zu erproben. Dabei wurden Beweidungsdauer, Triebwege und die Lage der Nachtpferch-Bereiche optimiert sowie der Bedarf an zusätzlichen Materialien wie Weidezaungeräten und mobilen Zäunen ermittelt und durch den Projektträger beschafft.
Bilder (bitte nebeneinander 1- und 2-spaltig):
Triebweg einer Herde. |
Übersetzen einer Herde mit der Fähre. |
Das Pilotprojekt startete im April 2023 mit dem Übersetzen einer Wanderherde von 200 Schafen und 20 Ziegen, begleitet von Hüte- und Herdenschutzhunden, auf der Rheinfähre Königswinter-Mehlem. Die Herde wuchs während der Beweidung auf 420 Schafe und Ziegen an, begleitet von einem Esel, der die mobilen Zäune und Weidezaungeräte transportierte. Elektrozäune wurden zur Nacht-Pferchung genutzt, während Hunde die Tiere bewachten. Um der vorübergehenden Futterknappheit infolge der Sommerdürre zu begegnen, sicherte sich der Schäfer durch Absprachen mit örtlichen Landwirten zusätzliche Futterflächen. Es gab keine Angriffe von Wölfen auf die Herde. Jedoch führten Probleme mit freilaufenden Hunden von Spaziergängern sowie Unrat auf den Beweidungsflächen zu Verletzungen von Tieren. Die Beweidung endete Anfang Oktober etwas früher als geplant aufgrund des Ausbruchs der Blauzungenkrankheit in NRW. Nach dem Übersetzen der Fähre zog der Schäfer wieder Richtung Rheinland-Pfalz wo sich die Winterweiden und Stallungen befinden. Insgesamt verlief das Pilotprojekt erfolgreich, die Weidepflege der Flächen zeigte erste Erfolge beim Zurückdrängen von Gehölz- und Brombeeraufwuchs, und die Tiere bewältigten die Strecken, Triebwege und steilen Hanglagen gut. Die Wanderherde war eine regelrechte Attraktion für die Anwohnerinnen und Anwohner, und so wurde der Schäfer regelmäßig von neugierigen Familien besucht. In zahlreichen Gesprächen erklärte er den naturschutzfachlichen Nutzen dieser Maßnahme. Auch unter Erholungssuchenden stieß die Initiative auf großes Interesse, da sie nun an einigen zuvor überwachsenen Aussichtspunkten wieder einen ungestörten Blick ins Rheintal genießen konnten.
Perspektiven für die Wanderschäferei im Rhein-Sieg-Kreis
Schäfer mit seiner Herde.
Quelle: Rhein-Sieg-Kreis
Nach der gelungenen Probebeweidung erhielt der Schäfer die betriebswirtschaftliche Perspektive, ab 2024 die Folgepflege im Rahmen des Förderinstruments des Vertragsnaturschutzes des Landes NRW (KUPRO) langfristig fortzusetzen. Bereits bei der Ausschreibung des Pilotprojektes wurde darauf geachtet, dass alle Flächen förderfähig sind. Zusätzlich zu den KUPRO-Bewirtschaftungspaketen "Beweidung" und "Einsatz von Ziegen" können auch die Pakete "Beseitigung unerwünschten Gehölzaufwuchses" und "Besondere Bewirtschaftungserschwernisse" auf ca. 60 % der Flächen geltend gemacht werden. Die Förderung aus der ersten Säule der EU-Agrarförderung, einschließlich Grünland- und Kennartenprämie, wird ebenfalls in Anspruch genommen. Auf diese Weise kann die extrem aufwändige und kostenträchtige Wanderschafhaltung für den Schäfer wirtschaftlich gestaltet werden.
Um optimale Bedingungen für die Folgepflege zu schaffen, wurde über chance7 im Herbst 2023 nochmals unerwünschte Sukzession auf einigen Beweidungsflächen beseitigt. Flächen im Eigentum des RSK wurden zinsfrei an den Wanderschäfer verpachtet, mit weiteren öffentlichen und privaten Eigentümern wurden Pachtverträge über chance7 vermittelt.
Neben der Gewährleistung der langfristigen Pflege der im Rahmen des Projektes chance7 hergestellten Lebensräume ist es mit diesem Projekt gelungen, einen Grundstein für die nachhaltige Förderung einer weiteren Wanderschäferei im RSK zu legen. Dadurch kann die steigende Nachfrage an Pflegemaßnahmen für ökologisch besonders wertvolle Lebensräume in Grenzertragsbereichen auch zukünftig besser bedient werden.
Dr. Christoph Rothenwöhrer
Quelle: Rhein-Sieg-Kreis