Die Zukunftsgestaltung der Gewässer in der bergbaugeprägten Region des Lin-ken Niederrheins

19. Oktober 2022: Von Anna-Theresa Wendl und Gesa Amstutz, Linksniederrheinische Entwässerungs-Genossenschaft (LINEG), und Michael Fastring, Fachdienstleiter Umwelt, Kreis WeselQQ

Flüsse fließen von ihrer Quelle zur Mündung; nicht so bei uns am linken Niederrhein...
Die LINEG hat zur Zukunftsgestaltung der Gewässer im linksniederrheinischen Gebiet mit dem „Bauplan 2013“ ein Konzept zur wasserwirtschaftlichen Entwicklung der bergbaugeprägten Region des Linken Niederrheins entwickelt.

Historische Entwicklung


LINEG-Gebiet mit 175 Grundwasserpumpanlagen, 74 Vorflutpumpanlagen und 13 Hochwasserpumpanlagen.
Quelle: LINEG

Das Verbandsgebietes der Linksniederrheinischen Entwässerungs-Genossenschaft (LINEG) ist geprägt vom Steinkohlen- aber auch vom Salzbergbau. Die damit einhergehenden Reliefveränderungen beeinflussen das natürliche Gewässersystem im ursprünglich flachen Gelände sehr stark. In großen Teilen des LINEG-Gebiets wurde so die natürliche Fließrichtung der Gewässer gestört.
Bereits 1913 wurde daher die LINEG gegründet, um die auftretenden Bodensenkungen wasserwirtschaftlich auszugleichen. Es wurden zum einen sogenannte Vorflutpumpanlagen (PAV) errichtet, mit denen das Oberflächenwasser aus den neu entstandenen Tiefpunkten und über den jeweils nächsten Hochpunkt im Verlauf der Fließgewässer gefördert wird. Zum anderen wurden Grundwasserpumpanlagen (PAG) gebaut, um den Flurabstand zu regulieren.
Nach und nach entstand so das heutige, komplexe Entwässerungssystem mit derzeit 74 Vorflut- und 175 Grundwasserpumpanlagen.
Zum Ende des Jahres 2012 wurde der Steinkohlenbergbau im südlichen LINEG-Gebiet eingestellt. Die Pumpanlagen jedoch blieben und stellen die sogenannte Ewigkeitslasten des Bergbaus dar. Denn durch ein Abschalten würden, wegen der fehlenden Abflussmöglichkeiten der Oberflächengewässer und den Anstieg des Grundwasserspiegels, große Teile des LINEG-Gebiets überflutet und damit unbewohnbar werden.
Das heißt, es fallen weiterhin dauerhaft Kosten an und auch die ökologischen Nachteile für Natur und Umwelt bleiben dauerhaft bestehen. Denn obwohl mit den Vorflutpumpanlagen die Weiterleitung des Oberflächenwassers sichergestellt wird, sind die Fließgewässer dadurch nicht durchgängig für Fische und andere aquatischen, terrestrischen und amphibischen Lebewesen.

Das Perspektivkonzept „Bauplan 2013“
Vor dem Hintergrund des Strukturwandels und im Hinblick auf Naturschutz und den Klimawandel hat die LINEG ein richtungsweisendes Perspektivkonzept zur nachhaltigen Entwässerung des südlichen Verbandsgebiets aufgestellt: den „Bauplan 2013“.  Ziel dieses Konzepts ist es, möglichst viele Vorflutpumpanlagen aufzugeben oder alternativ zu verkleinern. Mit dem Wegfall der Pumpanlagen wird bereits eine enorme Verbesserung der natürlichen ökologischen Gewässerdurchgängigkeit für Fische und andere Lebewesen erzielt. Weiterhin kann so eine Minimierung der beschriebenen Ewigkeitslasten des Bergbaus erreicht und gleichzeitig durch die Energie- und damit auch CO2-Einsparungen ein wichtiger Beitrag zur Verlangsamung des Klimawandels geleistet werden.


Simulation der wasserwirtschaftlichen Verhältnisse im südlichen LINEG-Gebiet bei Abschaltung aller Pumpanlagen.
Quelle: LINEG

Derzeit werden über die 57 Vorflutpumpanlagen im Bauplan-Gebiet (südliches LINEG-Gebiet) insgesamt rund 220 Mio. m³ Wasser pro Jahr gefördert. Der Abfluss der Gewässer beträgt natürlicherweise jedoch nur etwa 55 Mio. m³ pro Jahr. Das bedeutet, jeder Wassertropfen muss etwa viermal gepumpt werden, bis er im Rhein bzw. in der Niers angekommen ist. Durch die Umsetzung des Bauplan 2013 können die Hälfte aller Vorflutpumpanlagen der LINEG bzw. zwei Drittel der Vorflutpumpanlagen im Bauplan-Gebiet entfallen. Dadurch reduziert sich die Fördermenge von 220 Mio. m³ auf knapp 80 Mio. m³ pro Jahr. So muss jeder Wassertropfen rein rechnerisch nur noch ungefähr 1,4-mal gepumpt werden. 


Fossa Eugeniana in der Ortslage Rheinberg.
Quelle: LINEG

Um den Abfluss der Gewässer ohne Pumpanlagen möglich zu machen, ist eine Umgestaltung der entsprechenden Fließgewässer erforderlich. Dabei wird entweder das natürliche Gefälle durch eine Vertiefung der Gewässersohle wiederhergestellt oder, wenn dies aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich ist, ein völlig neuer Gewässerverlauf um Senkungsschwerpunkte herum gestaltet. Der erforderliche Gewässerausbau wird dabei gemäß den Zielen der EU-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) so naturnah wie möglich ausgeführt.

Umsetzung des „Bauplans 2013“ und der EU-Wasserrahmenrichtlinie
Die größte der LINEG-Vorflutpumpanlagen ist, mit einer mittleren jährlichen Fördermenge von etwa 23,3 Mio. m³ (Durchschnitt Wasserwirtschaftsjahre 2017 bis 2021), die PAV Alte Landstraße an der Fossa Eugeniana in Rheinberg. Die Fließrichtung des Gewässers ist aufgrund steinkohlenbergbaubedingter Bodensenkungen gestört, sodass der Abfluss der Fossa Eugeniana zum Rhein derzeit nur durch die insgesamt drei Vorflutpumpanlagen realisiert werden kann.


Einlaufbereich der PAV Alte Landstraße an der Fossa Eugeniana.
Quelle: LINEG

Durch eine Sohlvertiefung auf etwa einem Kilometer Länge und die dadurch ermöglichte Außerbetriebnahme der PAV Alte Landstraße können in diesem Abschnitt die natürlichen Abflussverhältnisse wiederhergestellt sowie die ökologische Durchgängigkeit verbessert werden. Der geradlinige, Charakter des historischen Schifffahrtskanals aus dem 17. Jahrhundert, welcher Nordrhein-Westfalens zweitgrößtes Bodendenkmal darstellt, muss dabei erhalten bleiben. Weiter kompliziert wird die Planung durch kreuzende Abwasserkanäle und Brückenfundamente, die im Zuge der Vertiefung freigelegt werden und daher umgelegt bzw. gesichert werden müssen. Der Planungsprozess wurde gemeinsam mit den zuständigen Behörden gegangen, sodass vor Einreichen der Unterlagen bereits eine Vielzahl von Abstimmungen, u.a. mit der Unteren Naturschutzbehörde (Kreis Wesel), der Unteren Wasserbehörde (Kreis Wesel), dem LVR-Amt für Bodendenkmalpflege und der Bezirksregierung (Strahlenschutz und Wasserrahmenrichtlinie) stattfanden. Verfahrensführend ist die Untere Wasserbehörde des Kreises Wesels (UWB).
Die umfangreichen Planunterlagen wurden im letzten Jahr zur Genehmigung bei der UWB Wesel eingereicht und kürzlich der vorzeitige Maßnahmenbeginn beantragt. Mit den Bauarbeiten kann so möglicherweise bereits 2023 begonnen werden.

Eine der größten Herausforderungen bei der Planung der Bauplan-Projekte, aber auch von Gewässerrenaturierungsmaßnahmen generell, stellt der hohe Flächenbedarf dar. Dieser ergibt sich grundsätzlich bereits aus den geplanten Aufweitungen im Rahmen der naturnahen Gewässergestaltung. Verschärft wird diese Problematik im Rahmen des Bauplans 2013 durch die beschriebenen erforderlichen Sohlvertiefungen oder gar Neugestaltung von Gewässerverläufen.

Große Goorley in Kamp-Lintfort vor und nach der Gewässerrenaturierung.
Quelle: LINEG

In enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Genehmigungsbehörden und den jeweiligen Kommunen konnten bisher bereits viele Gewässerrenaturierungsprojekteumgesetzt werden. Beispielhaft sei hier die Gewässerrenaturierungen der Großen Goorley auf dem ehemaligen Zechengelände des Bergwerks West genannt. Im Zusammenhang mit der Landesgartenschau 2020 in Kamp-Lintfort wurde der Graben, welcher zur Zeit des aktiven Steinkohlenbergbaus für die Abwasserableitungen der Zeche Friedrich-Heinrich genutzt wurde, naturnah umgestaltet.

Ausblick


Flyer zur Bürgerinformation zum Projekt am Großen Parsick.
Quelle: LINEG

Derzeit befinden sich bei der LINEG insgesamt acht Bauplan-EUWRRL-Projekte in der Planungsphase. Dazu gehört unter anderem der naturnahe Gewässerausbau eines Teilstücks der Issumer Fleuth in Kamp-Lintfort. Der entsprechende Entwurf wurde ebenfalls im letzten Jahr zur Genehmigung eingereicht. Das Projekt ist Teil des „Gesamtkonzepts Niederkamp“, welches außerdem den naturnahen Gewässerausbau des Boschmannsgrabens sowie eines weiteren Abschnitts der Issumer Fleuth beinhaltet. Zusammen mit dem Bau einer Ersatzanlage PAV Niederkamp 1.1 können so insgesamt zwei Altanlagen (PAV Issumer Fleuth, PAV Kamperbrück 4eingespart werden und die Basis für eine naturnahe, ökologische Durchgängigkeit hergestellt werden. Weiterhin sollen innerhalb des kommenden Jahres die Planunterlagen für den naturnahen Gewässerausbau des Niepkanals in Rheurdt bei den entsprechenden Genehmigungsbehörden eingereicht werden. Zusammen mit einer Umgestaltung der Ufer des Großen Parsick und drei vorhandener Sohlschwellen kann hier die PAV Schultes Kull außer Betrieb genommen werden und dem Ziel des guten ökologischen Potentials des Gewässers einen großen Schritt näher gekommen werden.