Das Kreisarchiv Viersen – ein Leuchtturm-Projekt
Die Bau- und Immobilienwirtschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Rohstoffe, auf die sie heute in großem Umfang zurückgreift, werden in absehbarer Zeit nur noch begrenzt oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Aktuell werden aber noch 60 Prozent der in Deutschland verwendeten Ressourcen im Gebäudesektor verarbeitet. Dabei entstehen Millionen Tonnen Bauschutt und Baustellenabfälle. Recycelt wird hingegen wenig. Um auch in Zukunft bauen zu können, sieht der Kreis Viersen auch die öffentliche Hand als Auftraggeberin gefordert. Mit dem Bau des neuen Kreisarchivs nach den Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung nimmt er eine Vorreiterrolle in der Region ein.
Im Kreis Viersen stellt das nachhaltige Bauen und Betreiben der Gebäude einen wesentlichen Baustein der Klimastrategie dar. Im Zuge dessen rüsten wir unsere Gebäude mit Solaranlagen, Solarthermie und Wärmepumpen aus. Weit darüber hinaus gehen die Möglichkeiten bei Neubauten. Inspiriert durch eine gemeinsame Veranstaltung der WFG für den Kreis Viersen und der IHK Mittlerer Niederrhein im Jahr 2016, in dessen Rahmen Vordenker Prof. Dr. Michael Braungart das gemeinsam mit dem Architekten William McDonough erdachte Konzept „Cradle to Cradle“ (C2C) vorstellte, erteilte der Landrat dem Gebäudemanagement den Auftrag, das avisierte Bauvorhaben „neues Kreisarchiv“ nach diesen besonderen Nachhaltigkeitskriterien zu planen und zu errichten. Bereits 2015 hatte die niederländische Nachbarstadt Venlo das neue Rathaus nach C2C fertiggestellt. Zeitgleich befasste die nordrhein-westfälische Landesregierung sich ebenfalls mit diesem Konzept und etablierte in NRW den Begriff der „Zirkulären Wertschöpfung“. Einerseits, um eine Abgrenzung zum Begriff der „Kreislauf-Wirtschaft“ nebst zugehörigem Gesetz zu erzeugen, aber auch um sich von dem als Marke geschützten Begriff „Cradle to Cradle“ abzugrenzen. Zwei Monate vor Preisgerichtssitzung eines vorgeschalteten Architektur-Wettbewerbs beschloss der Kreistag des Kreises Viersen 2017 schließlich, den Neubau des Kreisarchivs Viersen als Pilotprojekt für die zirkuläre Wertschöpfung zu errichten.
2019 trat der Kreis Viersen der damals neu gegründeten re!source Stiftung bei. Damit unterstützen wir das Ziel, ressourcenschonend zu bauen. Im Austausch mit anderen Akteuren erweitern wir unsere Kenntnisse stetig und möchten dazu beitragen, weitere Mitstreiter in der kommunalen Familie zu finden.
Visualisierung des Neubau Kreisarchivs.
Quelle: DGM Architekten
Zirkuläre Wertschöpfung
Der Gedanke, der der Idee der zirkulären Wertschöpfung zugrunde liegt, ist denkbar einfach: Der Verbrauch von Ressourcen wirkt sich ökologisch negativ aus. Da durch den drohenden Mangel an Rohstoffen und Deponieraum Ressourcen zunehmend teurer werden, Wirtschaftswachstum aber dennoch notwendig ist, liegt es nahe, benötigte Rohstoffe in geschlossene Kreisläufe zu führen. Wesentlich ist dafür die Unterscheidung der Stoffe in zwei Sphären – einer biologischen und einer technischen –, deren Rohstoffe zwei getrennte Kreisläufe bilden müssen. Werden diese Rohstoffe miteinander vermischt, verhindert dies eine Wiederverwendung, Recycling (technischer Kreislauf) oder eine Kompostierung (ökologischer Kreislauf). Deshalb muss schon beim Produktdesign darauf geachtet werden, dass verschiedene Stoffe leicht voneinander trennbar sind, um einen Stoffkreislauf auch wirtschaftlich darstellen zu können. Dies führt zu einer klaren Zuweisung der Materialien zu der architektonischen Funktion und im Idealfall sogar zu einer Reduzierung der Anzahl der verschiedenen verwendeten Materialien. Der Kreislauf der zirkulären Wertschöpfung schließt sich, wenn am Ende der Nutzungsphase des Gebäudes die eingesetzten Materialien nicht teuer und umweltbelastend entsorgt, sondern wieder in den technischen Kreislauf zurückgegeben und weiterverwendet werden können. Die Anforderungen einer zirkulären Wertschöpfung (international auch „Circular Economy“) prägt somit die Architektur. Die Idee hinter der zirkulären Wertschöpfung ist es, nicht weniger schlechte Auswirkung auf die eigene Umwelt zu verursachen, sondern eine positive Wirkung zu entfalten. Diese Idee will der Kreis Viersen in Neubauprojekten ebenfalls umsetzen.
Zirkuläre Wertschöpfung.
Quelle: Kreis Viersen
Der Mensch im Mittelpunkt.
Quelle: Kreis Viersen
Ressourcenschonung beginnt aber schon mit der Planung. Der Kreis Viersen setzt darum konsequent auf das digitale Planen mit BIM, also Bauwerksdatenmodellierung. Das bedeutet, dass sämtliche Prozesse im Verlauf des Bauprojekts virtuell dargestellt werden; es entsteht also ein digitaler Zwilling des Gebäudes. Damit vermeiden wir Fehler beim Bauen, die bei herkömmlichen Verfahren zu kostspieligen und Ressourcen verschwendenden Korrekturen führen würden. Außerdem werden im Planungsprozess alle Daten gespeichert, die am Ende der Lebensdauer des Gebäudes für das Recycling der eingesetzten Materialien benötigt werden.
Das Kreisarchiv: eine Idee
Zur Nachhaltigkeit gehört für uns beim Kreis Viersen auch, dass wir in unserer Kommune hochwertige Architektur schaffen. Bei unserem Kreisarchiv ist das den Krefelder Architekten DGM unter Leitung von Bernd Volkenannt in herausragender Weise gelungen. Die Archivalien des Kreises werden in einem massiven fensterlosen Kubus untergebracht. Dieser in seiner Massivität archaisch wirkende Stein-Kubus verweist auf die in unserer Gegend typischen historischen Wehrspeicher, die Berfes. Dort bewahrten unsere Vorfahren wichtige Dinge auf, um sie zu schützen, etwa Saatgut, Futter oder Bekleidung. Umschlossen wird der undurchsichtige Kubus von Arbeits- und Besucherräumen sowie von Lesesälen. Diese sind großflächig verglast und entsprechend lichtdurchflutet. Damit bildet der Außenbereich des Archivs einen markanten Kontrast zum Kubus: Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Lichtundurchlässigkeit und Transparenz, zwischen Erdung und Leichtigkeit sowie zwischen Tradition und Moderne.
Architektonisch steht unser Kreisarchiv also in regionaler Tradition. Das passt bestens zu seiner Funktion: nämlich der, unser wertvolles altes Schrifttum zu bewahren. Der architektonische Bezug auf unsere Geschichte passt aber auch zu unserer Hinwendung zur Bauweise unserer Vorfahren, die natürlich nachhaltig war. Diese greifen wir nun unter ganz neuen Vorzeichen mit hochmodernen Methoden wieder auf.
Fassade aus wiederverwendeten Ziegeln aus der Region, Glasdach mit Einstrahlungswinkel abhängigem Sonnenschutz und elementierte Glas-Trennwände.
Quelle: Kreis Viersen
Entwurfskonzept aus dem Wettbewerb.
Quelle: DGM Architekten
Das Kreisarchiv ist das erste kommunale Gebäude, das so entsteht:
- Sämtliche Baustoffe und Einrichtungsgegenstände sind wiederverwendbar: Holz, Glas, Metall und Ziegel.
- Die von uns verbauten Ziegelsteine sind recycelt: Sie stammen von abgerissenen Gebäuden aus der Region.
- Das Gebäude zeichnet sich durch seine nachhaltige Kombination der Energieversorgung aus. Dabei kombinieren wir umweltfreundliche Technologien in innovativer Weise: Wir haben ein Kraftdach mit Sonnenkollektoren und Photovoltaik in Verbindung mit einer Wärmepumpe und einem Eisspeicher errichtet. Fossile Energieträger sind damit überflüssig, einen Gasanschluss für das Gebäude gibt es nicht mehr.
- Die begrünten Außenanlagen lassen das Regenwasser versickern und erhöhen die Biodiversität.
Die Besonderheiten
Von Beginn an war deutlich, dass die Anforderungen an Material, damit einhergehende Reglementierungen, die technischen und öffentlich-rechtlichen Vorschriften sowie die Beteiligung einer Vielzahl an Planern und ausführenden Gewerken zu einer Herausforderung werden würden. Bei der Umsetzung mussten technische Kompromisse eingegangen werden. Auch dieser Neubau verwendet Primär-Rohstoffe und verursacht in seinem Lebenszyklus Treibhausgasemissionen. In dieser Hinsicht ist das neue Kreisarchiv tatsächlich nur weniger schädlich als andere Gebäude. Das Interesse am Ziel einer zirkulären Wertschöpfung, wie auch am Neubau des Kreisarchivs, selbst hat aber in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Auch wenn das Kreisarchiv mit seinen ca. 4.500m² auch nur einen geringen Anteil der Gebäudeflächen des Kreises Viersen ausmacht, so ist bereits vor der Fertigstellung ersichtlich, dass es einen Neubeginn markiert.
Fazit
Den Gedanken der zirkulären Wertschöpfung ergänzen wir im Kreis Viersen übrigens noch um den des gesunden Bauens. Wir sind engagiert im Healthy Buildung Network. Das Healthy Buildung Network ist eine gemeinsame Plattform der Region Niederrhein mit unseren Nachbarn der Region Limburg in den Niederlanden.
Illumination des Kreisarchivs Viersen anlässlich des 75. Jahrestages des Landes Nordrhein-Westfalen.
Quelle: Jörg Papenkort
Unser gemeinsames Ziel ist es, Dienstleister und Bauherren für einen dezidiert menschenfreundlichen Ansatz zu begeistern: Moderne, ökologische Gebäudetechnik wird so eingesetzt, dass sie ein gesundes Raumklima schafft, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden erhöht und den Krankenstand senkt. Auch hierauf achten wir beim Bau und bei der Innenausstattung unseres Kreisarchivs.
Eine in jeder Hinsicht nachhaltige Bauweise ist momentan noch teurer als herkömmliche Gebäude. Allerdings eben wirklich nur zunächst. Schon bald spart das Gebäude so viel an Betriebskosten ein, dass es schließlich in seinem gesamten Lebenszyklus deutlich preiswerter wird als ein Standardbau. Das neue Kreisarchiv führt also beispielhaft vor Augen, dass nachhaltiges Bauen auch wirtschaftliches Bauen sein kann.
Landrat Dr. Andreas Coenen Quelle: Gebhard Bücker |
Jan van der Fels Quelle: Privat |