Aus Geodaten werden Wohnlagen - Kreisweiter Mietspiegel für die Oberbergischen Städte und Gemeinden

15. November 2021: von Andreas Nefzger und Sven Heitz, Geschäftsstelle des Gutachterausschusses für Grundstückswerte, Oberbergischer Kreis
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Zeitgemäße und aktuelle Mietspiegel sind auf einem sich dynamisch verändernden Wohnungsmarkt ein unverzichtbares Regulativ geworden. Eine sachgerechte Mietpreisfindung setzt jedoch immer eine zutreffende Lageeinstufung voraus. Die sachverständige Einteilung in gute, mittlere und einfache Lagen allein ist nicht zielführend; Lagequalitäten sind eindeutig und nachvollziehbar zu bestimmen. Hier bieten wissenschaftlich anerkannte Analysen der verfügbaren Mietangaben, Geobasis- und Geofachdaten einen wirtschaftlich vertretbaren und rechtlich belastbaren Weg.

Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Oberbergischen Kreis hat in enger Zusammenarbeit mit dem Aufgabenbereich Geodatenmanagement für alle kreisangehörigen Städte und Gemeinden 13 Wohnlagenkriterien mit statistischen Methoden untersucht und deren Einfluss auf die lagespezifische Miethöhe bestimmt. Das Ergebnis ist ein online verfügbarer Mietspiegel, der das Kriterium „Lage“ adressenscharf für das Kreisgebiet abbildet.

Wohnen im Oberbergischen Kreis
Der Oberbergische Kreis vereint als Gebietskörperschaft 13 Städte und Gemeinden und umfasst eine Fläche von rund 919 km². Auf einer Nord-Süd-Ausdehnung von rund 53 km und einer Ost-West-Ausdehnung von rund 38 km ist er durch eine stark bewegte Topografie (99 m – 518 m ü. NHN) und eine heterogene Einwohnerdichte (Zersiedelung mit ca. 1.440 Dörfern) geprägt.


Oberbergischer Kreis
Quelle: Oberbergischer Kreis

Circa 272.000 Einwohner verteilen sich auf etwa 85.000 Gebäude, in denen sich grundsätzlich auch eine Vermietung realisieren ließe. Hierbei sind erhebliche infrastrukturelle Unterschiede, die sich direkt auf die Wohnlage auswirken, in einem flächenhaften Landkreis von vornherein anzunehmen.

Relation zwischen Wohnlagekriterien und Geodaten
Durch Auswertung von Literatur, unterschiedlicher Mietspiegel (z.B. München), dem Austausch mit den Mitgliedern des Gutachterausschusses und durch gute Kommunikation mit dem Mieterverein und der drei ortsansässigen Haus- & Grundbesitzervereine wurden 13 Wohnlagekriterien selektiert, die für die Miete einer Wohnung ausschlaggebend sein könnten. Dazu gehören überwiegend entfernungsabhängige, positiv oder negativ wirkende Kriterien zu infrastrukturellen Einrichtungen wie: Apotheke, Hausarzt, Autobahnauffahrt, Bus- oder Bahnhaltestelle, Grundschule, Kindergarten, Supermarkt, Kläranlage und Bauernhof mit Tierhaltung.
Weitere betrachtete Kriterien sind die Art der Bebauung, der Straßenlärm sowie die Geländeneigung und Ausrichtung des Grundstückes, auf dem sich die Wohnung befindet.

Die genannten 85.000 Gebäudeadressen liegen im Liegenschaftskataster georeferenziert vor. D.h. es gibt eine geographische Koordinate, welche die räumliche Lage definiert. Für die infrastrukturellen Einrichtungen wurde durch eine Kombination vorhandener Datenquellen und manueller Recherchen diese Georeferenzierung vorgenommen. So wurde für jede der genannten Einrichtungen Adressen aus den Datenbanken anderer Organisationseinheiten (Gesundheitsamt, Sozialamt, Veterinäramt, …) und Internetrecherchen ermittelt. Dabei mussten auch Lagepositionen von Einrichtungen außerhalb des Kreisgebietes berücksichtigt werden, denn bei der nachfolgenden Betrachtung geht es um reine Entfernungen, welche unabhängig von Verwaltungsgrenzen sind.
Die Information zur Art der Bebauung (Einfamilienhaus, Doppelhaus, Hochhaus, Gewerbelage, …), welche auch Bestandteil des Liegenschaftskatasters ist, wurde den Wohnobjekten ebenfalls zugewiesen.
Anschließend war es möglich, Entfernungsberechnungen (Luftlinie) durchzuführen. Jeder potenziellen Mietwohnung wurde die kürzeste Entfernung zum nächsten Hausarzt usw. zugewiesen. Bei den Bus- und Bahnhaltestellen wurden mehrere Haltestellen ermittelt, um so die Frequentierung der Fahrgelegenheiten / Zu- und Ausstiege zu berücksichtigen.

Das Land NRW führt in regelmäßigen Abständen Verkehrszählungen durch. Anhand dieser Daten (KFZ pro Stunde) ist es möglich, die Lärmemission für jede größere Straße (Bundes-, Landes- und Kreisstraße) zu klassifizieren.

Zur Ableitung der Geländeneigung und Himmelsausrichtung eines jeden Grundstücks, auf dem das Gebäude steht, wurde auf die öffentlich zugänglichen Daten der Laserscanbefliegung von Geobasis NRW zurückgegriffen. Durch die Verschneidung dieses digitalen Geländemodelles mit den Grundstücken entstanden mehrere Teilflächen mit verschiedenen Neigungen und Ausrichtungen. Diese wurden nach Flächengröße gewichtet und gemittelt.

Bei den verschiedenen Berechnungsschritten wurde die Software FME (Feature Manipulation Engine), ein Werkzeug zur prozessorientierten Verarbeitung unterschiedlichster Daten und Formate, genutzt. 

Am Beispiel der Entfernung zum Supermarkt soll der Ablauf erläutert werden:
Jede der rund 85.000 Adressen hatte jetzt eine Entfernungsangabe zum nächsten Supermarkt. Die größte Entfernung betrug 5.293 Meter, die kleinste 0 Meter (Wohnung und Markt im gleichen Gebäude). Zur Aufteilung in Wertebereiche (Klassen gleicher Größe) wurde diese maximale Entfernung durch elf geteilt, sodass eine Skalierung von 0 bis 10 Punkten möglich war:
0 Meter bis 481,18 Meter Entfernung: 10 Punkte
481,19 Meter bis 962,36 Meter Entfernung: 9 Punkte, usw.
4811,83 Meter bis 5293 Meter Entfernung: 0 Punkte


Skalierung bei 85.000 Andressen, Entfernung zum nächsten Supermarkt.
Quelle: Oberbergischer Kreis

Durch diese Einteilung erhielten etwa 25.000 Adressen zehn Punkte, diese befinden sich hauptsächlich in den 13 Hauptorten des Landkreises, in deren Nähe sich auch die meisten Supermärkte befinden. 131 Adressen bekamen jedoch 0 Punkte, diese sind über 4,8 Kilometer vom nächsten Supermarkt entfernt. Bei einigen Kriterien (z.B. Kläranlage, Straßenlärm) wurde das Schema umgekehrt, d.h. je weiter weg, desto mehr Punkte.
Somit konnte jede der rund 85.000 Adressen maximal 130 Punkte erreichen (für 13 Kriterien jeweils 10 Punkte). Jedoch war es theoretisch auch möglich 0 Punkte zu erreichen. Da die Adressen mit der größten Entfernung (z.B. zum Arzt) jedoch sehr ländlich und suburban liegen, punkten diese z.B. bei dem Kriterium Lärm, da sie sich zumindest in der Regel abseits der großen Straßen befinden.

Die geringste vergebene Punktzahl beträgt 49 (schlechteste Lage), die höchste Punktzahl 128 (beste Lage). 

Kriterien mit einem nachweisbaren Einfluss auf die Miete
Seit 2013 werden jährlich ca. 6.000 Mieter und Vermieter angeschrieben mit der Bitte, einen Fragebogen zur Mietwohnung auszufüllen und zurückzusenden bzw. online abzugeben. Für die Auswertung des Mietspiegels 2021 lagen dadurch rund 4.500 Antworten vor. Ein Bestandteil der Erhebung war die Frage „Wie beurteilen Sie die Lage / das Wohnumfeld des Gebäudes“. Diese wurde von 9 % der Befragten mit „einfach“, 28 % mit „mittel“ und von 63 % mit „gut“ beantwortet. Diese subjektive Einschätzung der Befragten bestätigt die beschriebene analytisch durchgeführte Wohnlagenbewertung.


Skalierung bei 85.000 Adressen, 13 Wohnlagekriterien.
Quelle: Oberbergischer Kreis

Aus dem Gesamtdatenbestand (85.000 Adressen) wurden nun die 4.500 Adressen herausgefiltert, für die es bei der Umfrage unter den Mietern und Vermietern zwischen 2016 und 2021 zu einer Antwort gekommen ist (Neuvermietung bzw. Mietänderung vom 1.1.2015 bis zum 31.12.2020).
Der Fragebogen umfasste 17 Fragen. Neben der Wohnfläche, dem Baujahr und dem Modernisierungsstand wurden zusätzlich Fragen zur Gebäude- und Wohnungsausstattung gestellt.
Nach mehreren multiplen Regressionsanalysen, in denen iterativ entweder unlogische (z.B. höhere Miete bei steigendem Straßenlärm) oder schwach ausgeprägte Kriterien (keine nachweisbare Signifikanz) entfernt wurden, blieben neben den 9 Kriterien für die Gebäude- und Wohnungsausstattung 6 der zuvor genannten 13 Lagekriterien übrig. Dazu gehörten die Entfernung zum nächsten Kindergarten und Supermarkt, zur nächsten Apotheke und Bus- bzw. Bahnhaltestelle, die Art der Bebauung und die Kombination der Ausrichtung des Grundstückes zur Himmelsrichtung mit der Neigung des Grundstücks.


Wohnlagenkarte mit 6 Lagekriterien.
Quelle: Oberbergischer Kreis

Der Wert der Wohnlage
Nehmen wir wieder das Beispiel „Entfernung zum Supermarkt“. Die Regressionsanalyse zeigt, das pro Punktwert die durchschnittliche Miete um 3,2 Eurocent/m² Wohnfläche steigt, bei der vollen Punktzahl also um 0,32 Euro/m² Wohnfläche. Bei den anderen Kriterien ist es ähnlich (jeweils bei der vollen Punktzahl):
Kindergarten +0,43 Euro/m², Apotheke +0,39 Euro/m², Ausrichtung des Grundstückes +0,34 Euro/m², Bebauung +0,27 Euro/m², Bus-/Bahnhaltestelle +0,24 Euro/m².
Addiert man alle sechs Werte, so ist die Differenz zwischen einer Wohnung mit voller Punktzahl (60 Punkte, beste Lage) und einer Wohnung mit 0 Punkten (schlechteste mögliche Lage) 1,99 Euro/m² Wohnfläche. Bei einer Wohnung mit 100 m² sind somit 199 Euro pro Monat Mietwertdifferenz möglich.

Fazit
Bis vor einigen Jahren gab es für den Oberbergischen Kreis einen Tabellenmietspiegel, der nach Baujahresklassen, Klasseneinteilungen für Wohnflächen und der subjektiven Lage (einfach, mittel, gut) unterschieden hat. Es gab weder Unterscheidungen in Bezug auf die Größe des Ortes noch Differenzierungen nach infrastrukturellen Einrichtungen.
Durch die Kombination der Wohnobjekte und Geodaten ermöglicht die Geoinformation den Akteuren einen objektiven und nachvollziehbaren Mietspiegel zu erstellen.
Die Nachfrage bestätigt die Akzeptanz des im Oberbergischen Kreis erstellten Online-Mietspiegels. Jährlich werden in den 13 kreisangehörigen Städten und Gemeinden etwa 20.000 Mietdaten abgerufen.

Andreas Nefzger

Quelle: Oberbergischer Kreis

Sven Heitz