„Archiv to go“ - Archivische Angebote für Schulen in einem Flächenkreis

19. März 2019: Von Heike Pütz, Diplom-Archivarin (FH), Kreisarchiv Euskirchen

Eindrücke aus außerschulischen Lernorten dürfen auch in einem Flächenkreis nicht an der verkehrstechnischen Anbindung scheitern. Zur Not sollte der Berg deshalb zum Propheten gehen, damit alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, Archive, ihre Bestände und Arbeitsweise kennenzulernen.

In einem Flächenkreis wie dem Kreis Euskirchen erschweren die räumlichen Distanzen zwischen außerschulischen Lernorten und den Schulen oftmals die Zusammenarbeit. Für die beiden Gymnasien der Kreisstadt ist eine Bildungspartnerschaft mit dem Kreis- bzw. dem Stadtarchiv vor Ort eine Selbstverständlichkeit. Innerhalb einer Doppelstunde sind die beiden Archive zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen und ein kurzer Lerninhalt zu vermitteln.
Anders sieht die Situation für die übrigen Schulen in den anderen Kreiskommunen aus. Hier scheitert die Zusammenarbeit oftmals schon an der Erreichbarkeit der Archive während der Schulstunden bzw. der aufwändigen Organisation eines dafür freigemachten Schulmorgens, der durch An- und Abreise erforderlich ist. Dazu noch der enge Lehrplan, gerade im Fach Geschichte, durch die Einführung von G 8, und die Motivation ist schnell verpufft. Aus dieser Schwierigkeit heraus wurde die Idee des „Archiv to go“ geboren.


Auswahl an Archivalien und Literatur für das erste Forschen
Quelle: Heike Pütz, Kreis Euskirchen

Die Kreisarchivarin packt eine „Kiste“ mit typischen Archivalien, die zum Trost aller Fachkollegen auch z. T. aus Doubletten bestehen, wie Zeitungen, Postkarten, historischen Geldscheinen oder ähnlichem, und fährt damit in die Schule zum Unterricht. Von Seiten der Schule sind wenige Vorbereitungen notwendig. Ein Extratisch für die Archivalien und idealerweise ein Beamer sollten bereitstehen. Damit kann innerhalb einer Schulstunde oder gar einer Doppelstunde, je nach Wunsch, das Archiv zu den Schülern kommen. Ja, der Eindruck des fremden Ortes geht dabei verloren. Dafür entgeht den Schülern aber nicht die Chance, diese Institution und ihre Quellen überhaupt kennen zu lernen. Genau wie beim Besuch im Archiv erhalten sie nun eine Einführung ins Kreisarchiv via Power-Point-Vortrag. Sie erfahren, was man in Archiven finden kann und welche geschichtlichen Quellen dort überliefert sind. Daran schließt sich die praktische Erfahrung mit klassischen Quellenmaterialien an. Genau wie im Archiv selbst.
Mit einer Tragebox voller Archivalien kommt also das Archiv in die Schulen, auch in die Grundschulen. Gerade in der dritten Klasse, wenn das Thema „Schule gestern und heute“ besprochen wird, empfiehlt sich ein kleiner Ausflug in die Welt der Quellen. Dabei kommt es weniger auf die Inhalte an. Gerade Grundschüler wären damit noch völlig überfordert. Eine 100 Jahre alte Zeitung ist für sich schon etwas Besonderes, genau wie ein 200 Jahre altes Amtsblatt. Wann haben Schüler und Schülerinnen schon im Alltag direkten Zugang dazu? Alte Fotos, Postkarten mit unbekannten Ansichten des eigenen Heimatortes oder historische Geldscheine sind für die Schülerinnen und Schüler erste Highlights.


Besuch in der Grundschule Ülpenich anlässlich des Schuljubiläums im Sommer 2015
Quelle:  Grundschule Ülpenich)

Wichtig ist der erste haptische Eindruck einer echten historischen Quelle, mit der man Geschehenes erforschen kann. Etwas, was man anfassen und fühlen kann. Das nicht geschützt hinter Glas liegt, sondern darauf wartet, entdeckt und wieder in die Hand genommen zu werden. Ein Stück Geschichte, das nach altem Papier riecht, eine Schrift zeigt, die nicht der heutigen entspricht und damit schon per se geheimnisvoll wirkt. Es sind Dinge, die nicht durch Vitrinen, sondern nur durch die Achtsamkeit und den verantwortungsvollen Umgang der Nutzer geschützt sind. Die Schüler spüren dieses Vertrauen, dass das Archiv in sie setzt und wachsen an der Erfahrung, dass ihnen etwas Wertvolles anvertraut wird.


Bereit für den ersten Kontakt mit den historischen Quellen
Quelle: Heike Pütz, Kreis Euskirchen

Gleichzeitig lernen sie erstes Quellenmaterial kennen, mit dem die Vergangenheit näher beleuchtet werden kann. Diese Einführung soll neugierig machen auf die Vergangenheit und das Archiv als Institution neben Bibliothek und Museum in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler etablieren. 
In den weiterführenden Schulen sind Archiveinführung und Archivalienauswahl schon anspruchsvoller. Nachdem in der Einführung die verschiedenen Quellengattungen vorgestellt wurden, sollen die Schüler nun unterschiedliche Archivalien und Sekundärquellen ihren Mitschülern vorstellen. Sie sollen den Unterschied zwischen Primär- und Sekundärquelle erkennen und ihre Quelle als erste Zitierungsübung benennen. Das funktioniert bereits in der Mittelstufe und bereitet auf die Facharbeit der Oberstufe vor. Damit die Veranstaltung in den Lehrplan passt, wird im Vorfeld zwischen der Lehrkraft und dem Archiv abgesprochen, was gerade aktuell Thema im Unterricht ist. Darauf werden die vom Archiv mitgebrachten Quellen angepasst. Dabei haben sich vor allem die Themenfelder „Schule“ und „I. Weltkrieg“ als besonders gut durchführbar herauskristallisiert.
Für drei Themenblöcke „Wasser“, „Schule“ und „Besatzung nach dem I. Weltkrieg“ wurden Fragestellungen erarbeitet, die die Schüler anhand von Quellenliste und ausgesuchten Archivalien bearbeiten sollen. Dazu sollen sie im ersten Schritt anhand der Quellenliste eine passende Archivalie finden und im zweiten Schritt in der zugehörigen Archivalie die Antwort. Spätestens an diesem Punkt sind die Schüler im Boot, denn die Blöße im Gegensatz zu ihren Klassenkameradinnen und Kameraden die Lösung nicht zu finden, will sich kaum eine/einer geben. Über die üblichen Spielereien mit den Gummihandschuhen muss die Archivarin geflissentlich hinwegsehen, was im Klassenzimmer noch besser funktioniert als im kreiseigenen Leseraum.
Wichtig erscheint mir, den Schülern damit nahe zu bringen, dass Geschichte nicht nur in Büchern und vielleicht im Film stattfindet. Geschichte ist auch vor Ort, im eigenen Umkreis erlebbar. Quellenbezüge mit engem Bezug zur eigenen Umwelt, zur Schule oder vielleicht sogar zur Familie erleichtern den Zugang zur Vergangenheit. Sie machen das vergangene Geschehen realer. In den Geschichtsbüchern abgedrucktes Quellenmaterial aus Berlin, Paris oder Washington lässt Geschichte oft als etwas Fernes wirken. Jedoch findet Geschichte ebenso im eigenen Heimatort statt. So wurden z. B. die Schlachten im I. Weltkrieg auch von Soldaten des eigenen Ortes geschlagen. Vielleicht war der eigene Urgroßvater beteiligt oder ist sogar gefallen. Vielleicht war das Heimatdorf von Zerstörungen durch die Kämpfe zwischen den Alliierten und den deutschen Truppen 1945 betroffen, die eigene Heimat war Frontgebiet gewesen. Dann wirkt Geschichte gar nicht mehr so fern.
Erfolgreich ist eine solche Veranstaltung, wenn die Schulstunde/n kurzweilig und informativ ablaufen und die Archivarin eine positive Resonanz von Schülerinnen und Schülern sowie dem Lehrpersonal erhält. Richtig erfolgreich sind die Termine, die ein weiteres Forschen in Form von Schul-AGs oder Facharbeiten mit regionalbezogenem Thema einleiten.


Heike Pütz
Quelle: Heike Pütz, Kreis Euskirchen