Aktuelle Standpunkte zum Nachhaltigen Bauen in Nordrhein-Westfalen
Der Klimawandel findet vor unseren Augen statt. Der Wald in unseren Breitengraden gehört zu den Leidtragenden der trockenen heißen Sommer. Starkregen verwandelt Bäche in reißende Flüsse. Das Jahr 2021 war mit der Starkregen- und Hochwasserkatastrophe im Juli erneut ein Ausnahme-Jahr. Für die zum Teil zerstörte oder beschädigte Infrastruktur in den vom Hochwasser betroffenen Kommunen und für die Standorte der zerstörten oder beschädigten Häuser wird ein Wiederaufbau geprüft. Die durch das Hochwasser vollständig zerstörten Gebäude werden wiederaufzubauen sein.
Die Flut verdeutlicht mit Nachdruck, dass die Anpassung an den Klimawandel eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit ist. Die Landesregierung hat dazu im Juli 2021 das Klimaanpassungsgesetz Nordrhein-Westfalen beschlossen. Damit sollen u. a. die negativen Auswirkungen des Klimawandels begrenzt, insbesondere drohende Schäden verringert und die Klimaresilienz gesteigert werden. Die zunehmenden Extremwetterereignisse mit ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen verdeutlichen zugleich die Notwendigkeit, das weitere Fortschreiten des Klimawandels zu begrenzen. Auf allen Ebenen der Politik wurden dazu hohe Ziele formuliert. Die Europäische Kommission hat den Green Deal ausgerufen. Es geht um eine neue Wachstumsstrategie für den Übergang zu einer ressourceneffizienten und zugleich wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Die EU möchte 2050 klimaneutral sein. Das Land Nordrhein-Westfalen strebt dieses Ziel bereits für 2045 an und hat dazu im Juli 2021 auch die Neufassung des Klimaschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen beschlossen.
Als Land stehen wir vor der Herausforderung, dass wir einerseits die Ziele der CO2-Reduzierung und Ressourcenschonung erreichen und andererseits im Hier und Jetzt die wirtschaftliche und soziale Balance halten. Nachhaltig Bauen heißt genau das: Ökologie, Ökonomie und soziale Aspekte müssen für eine nachhaltige Zukunft gleichgewichtig abgewogen werden.
Vom einzelnen Gebäude über die Quartiersbetrachtung zur Stadtentwicklung
Der Blickwinkel hat sich zunehmend erweitert. Vom Gebäude zum Quartier, vom Quartier zur Region. Heutige Investitionsentscheidungen und Maßnahmen müssen auf einen Pfad führen, der auch zu einem klimaneutralen Gebäudesektor führt. Eine schnellere Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien im Wärmesektor, eine Beschleunigung der Modernisierung einschließlich eines Aus- und Umbaus von Nah- und Fernwärmenetzen ist hier erforderlich. In der Landesbauordnung wurde der Ausbau erneuerbarer Energien weiter vorangetrieben: etwa durch die Installation von Photovoltaikanlagen beim Neubau von großen Parkplätzen, z. B. von Supermärkten oder Baumärkten. Diese Flächen können nun effizient im Sinne des Klimaschutzes genutzt werden. Auch hat die Landesregierung hierzu am 14. Dezember 2021 die Fortschreibung der Energieversorgungsstrategie Nordrhein-Westfalen beschlossen.
In der Städtebauförderung konzentrieren wir uns auf eine energieeffiziente, klimagerechte und nachhaltige Sanierung oder Modernisierung öffentlicher Nicht-Wohngebäude (Gemeinbedarfseinrichtungen). Förderfähig sind u. a. die energetische Erneuerung sowie Dach- und Fassadenbegrünungen. Mit dem Förderaufruf zum Stadterneuerungsprogramm 2022 kann für eine Modernisierung der Gemeinbedarfsinfrastruktur in Anlehnung an den Effizienzhaus 70 Standard und mit dem Einsatz ökologischer Baustoffe zur Wärmedämmung, die mit dem Umweltzeichen blauer Engel oder nach dem natureplus-Standard zertifiziert sind, ein Zuschlag in Höhe von 10 % auf den Fördersatz gewährt werden, um dem sanierungsbedingten Mehraufwand Rechnung zu tragen.
Digitales und innovatives Planen und Bauen
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen schafft in ihrem Zuständigkeitsbereich die Voraussetzungen dafür, dass in Zukunft wieder mehr gebaut und saniert werden kann. Ein Baustein ist das Beschleunigen von Baugenehmigungsverfahren. Die Digitalisierung wird die Prüfung durch Fachpersonal nicht ersetzen. Es kann aber dort, wo standardisiert Daten abgefragt und geprüft werden, deutliche Erleichterungen bringen. Richtig umgesetzt wird die Digitalisierung der Beschleunigung und Optimierung des Verfahrens dienen und die Servicequalität erhöhen.
Der immer stärker werdende Einsatz digitaler Werkzeuge in der Bauindustrie führt zu einer Revolution der Arbeitsweise. Mit der Arbeitsmethode Building Information Modeling BIM zeigt sich ein zeitgemäßer Ansatz, den digitalen Fortschritt im Bauwesen zu integrieren und alle am Bau beteiligten Fachplanerinnen und -planer über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie hinweg zu vernetzen. Das Land hat das BIM-Competence-Center im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung eingerichtet, welches Informationen bündelt und gerade auch kommunalen Bauherrinnen und Bauherren zur Verfügung stellt. Das Land versteht sich als Impulsgeber, Koordinator und führt das Wissen aller beteiligen Akteurinnen und Akteure zusammen.
Mit der Zielsetzung „Innovative Technologien – Digitale Bauverfahren – Nordrhein-Westfalen gestaltet“ ist im Jahr 2020 erstmalig das Förderprogramm „Digitalisierung der Bauwirtschaft und innovatives Bauen“ unseres Hauses aufgelegt worden, welches auch Kommunen ermöglicht Zuwendungen zu erhalten. Zwei fertiggestellte Pilotprojekte stehen für unsere 3D‘s zur Zukunft des Bauens: digital, dynamisch, druckfertig: Das deutschlandweit erste zweigeschossige Wohnhaus aus 3D-Betondruck in Beckum und ein von der Universität Duisburg-Essen mit Partnern entwickelter Mauer-Seilroboter, welcher aus handelsüblichen Kalksandsteinen eine Etage mauern, Stürze einziehen und die Bemörtelung übernehmen kann. Die 2021 geförderten Maßnahmen bilden ein breites Spektrum innovativer Bautechnologien und digitaler Verfahren ab, vom 3D-Lehmdruck für Innenbereiche, Bauen mit biobasierten Baustoffen über GPR-Screening des bebauten Untergrundes bis zum Bau eines Vereinsgebäudes mittels 3D-Betondruckverfahren in der Gemeinde Nordkirchen. Die Fördermittel für das Jahr 2022 sind auf 3,5 Mio. Euro erhöht worden, ein Förderaufruf wird Anfang des Jahres veröffentlicht.
Einsatz ressourcenschonender Baustoffe
Eine weitere Säule des nachhaltigen Bauens ist der Einsatz ressourcenschonender Baustoffe, bis hin zum Recycling und zur Wiederverwendung von Baustoffen.
Die EU-Kommission arbeitet aktuell an einer Überarbeitung und Neufassung der europäischen Bauproduktenverordnung. Die Aspekte Umwelt- und Gesundheitsschutz, Energieeffizienz sowie Nachhaltigkeit, Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft werden dabei ein stärkeres Gewicht erhalten.
In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung mit der Gesetzgebung und mit der Förderpolitik den Weg für mehr Bauen mit Holz freigemacht. So wurde in der neuen Landesbauordnung das Bauen mit Holz über drei Vollgeschosse hinaus bis zur Hochhausgrenze ermöglicht. Das ist inzwischen Konsens innerhalb der Bauministerkonferenz (dem gemeinsamen Gremium der Bauministerinnen und ‑minister der 16 deutschen Bundesländer): Die Errichtung von Holzgebäuden in den Gebäudeklassen 4 und 5 soll in allen Landesbauordnungen ermöglicht werden. Fördermöglichkeiten gibt es u. a. in der Wohnraumförderung und im Förderprogramm „Digitalisierung der Bauwirtschaft und innovatives Bauen“.
Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen verfolgt weitere innovative Ansätze zur Ressourcenschonung. Genannt sei hier beispielsweise die Initiative zum Aufbau einer Bauteilbörse im „Rheinischen Revier“.[1]
Die öffentliche Hand als Vorreiterin bei eigenen Bauaufgaben
Die EU-Kommission nimmt mit ihren Vorschlägen zur Erreichung der 2030er-Klimaziele die öffentliche Hand besonders in die Pflicht und damit das Land selbst ebenso wie die Kommunen: Ab dem Jahr 2027 sollen alle neuen Gebäude der öffentlichen Hand als Null-Energie-Gebäude errichtet werden[2], bis zum Jahr 2030 im gesamten Gebäudesektor ein Anteil für erneuerbare Energien in Höhe von 49 % erreicht werden und öffentliche Gebäude auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene dabei eine Vorbildfunktion einnehmen.[3] Außerdem sollen der Gesamtendenergieverbrauch aller öffentlichen Einrichtungen zusammen jährlich um mindestens 1,7 % gesenkt und mindestens 3 % der Gesamtfläche aller Gebäude der öffentlichen Hand jährlich renoviert werden.[4]
Die Vorschläge betreffen auch regionale und kommunale öffentliche Gebäude. Auch wenn die genannten Vorschläge der Europäischen Kommission noch nicht final verabschiedet sind – es folgen Verhandlungen mit dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament – so sind die sich abzeichnenden Anforderungen an den gesamten Bausektor und auch die öffentliche Hand immens.
Das Land selbst ist mit den im Jahr 2021 getroffenen Beschlüssen zur Umsetzung der klimaneutralen Landesverwaltung mit hohen Energiestandards (Effizienzgebäude 40 für Neubauten und Effizienzgebäude 55 für Sanierungen) und zur Einführung des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen bei landesfinanzierten Bauvorhaben bereits aktiv dabei, Klimaschutz und nachhaltiges Bauen weit über die derzeitigen gesetzlichen Mindeststandards hinaus umzusetzen. Doch ohne Baukultur kann nachhaltiges Bauen keine Akzeptanz finden und nicht gelingen. Das Land sieht sich verpflichtet, als Vorbild und Impulsgeber für die Entwicklung qualitätsvoller, zukunftsorientierter und umweltgerechter Architektur und Stadträume zu wirken. Daher wurde am 7. Dezember 2021 die Richtlinie für Kunst und Bau bei herausgehobenen Baumaßnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen beschlossen, sodass künftig wieder regelmäßig Kunst-und-Bau-Projekte realisiert werden. Ziel ist es, durch die Verbindung von Kunst und Bau die Baukultur des Landes Nordrhein-Westfalen sichtbar und nachhaltig zu stärken.
Vor dem Hintergrund der Vorschläge der EU-Kommission zur Vorreiterrolle der öffentlichen Hand speziell im Klimaschutz werden sich Land und Kommen ebenso wie Handwerk und Bauwirtschaft weiterhin auf einen Wachstumskurs einstellen müssen. Die Landesregierung und speziell das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung setzen sich dafür ein, die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung, von Innovationen und von nachhaltigem Wachstum zu realisieren und voll auszuschöpfen.
[1] Nachhaltigkeitsbericht des BLB NRW 2020
[2] Artikel 7 aus COM(2021) 802 final
[3] Artikel 1 (6) aus COM(2021) 557 final
[4] Artikel 5 und 6 aus COM(2021) 558 final