10 Jahre KAoA im Kreis Borken im Kontext eines sich wandelnden Ausbildungsmarktes
Das 2012 neu eingeführte Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss-Übergang Schule-Beruf in NRW“ (KAoA) war eines der prägendsten Veränderungen der vergangenen zehn Jahre im Übergang Schule und Beruf. Innerhalb dieser letzten Dekade hat sich das Landesvorhaben einerseits von Beginn in allen Handlungsfeldern permanent weiter entwickeln und sich verändernden Rahmenbedingungen – wie zum Beispiel der Inklusion, der Integration und auch der Digitalisierung – anpassen müssen. Andererseits hat sich eine wegweisende Veränderung auf dem Ausbildungsmarkt vollzogen, der sich von einem Arbeitgeber- zum einem Arbeitnehmermarkt transformiert hat. Hieraus ergeben sich für das Landesvorhaben zukünftig neue Herausforderungen und neue Chancen.
Das Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss-Übergang Schule-Beruf in NRW“ (KAoA) setzt der Kreis Borken als eine von landesweit sieben Referenzkommunen seit 2012 um. Der Kreis ist unter anderem durch seine Flächenstruktur sowie als Grenzregion zu den Niederlanden geprägt. Er umfasst 17 Kommunen, 5 Jugendämter und hat rund 372.000 Einwohnerinnen und Einwohner.
Die mit KAoA einhergehende Einführung der aufeinander aufbauenden Standardelemente zur beruflichen Orientierung ist nicht nur für alle Schülerinnen und Schüler ab der 8. Klasse bis zum Übergang in Ausbildung/Studium ein Gewinn, sondern sie ist auch für viele der hiesigen Ausbildungsbetriebe von großer Bedeutung. Insbesondere die betrieblichen Praxisphasen der jungen Menschen haben das Zusammenspiel von Betrieben und Schülern sehr positiv befördert.
Innerhalb der letzten zehn Jahre ist das Landesvorhaben KAoA mit seinen vier Handlungsfeldern zu einer akzeptierten und etablierten Struktur herangewachsen. Flankierend haben sich Neuerungen im Kreis Borken ergeben, die in Interdependenz zum Landesvorhaben stehen. Neben den Veränderungen in Bezug auf das gemeinsame Lernen im Sinne der Inklusion und der Integration von neuzugewanderten Schülerinnen und Schüler hat sich eine der signifikantesten Veränderungen auf dem hiesigen aufnehmenden Ausbildungsmarkt vollzogen: Dieser hat sich von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt. War es in den ersten KAoA-Jahren so, dass es vielfach mehr Bewerberinnen und Bewerber als Ausbildungsplätze gab, so existiert seit einigen Jahren ein größeres Ausbildungsplatzangebot, als es Bewerberinnen und Bewerber für Ausbildung gibt.
Ausbildungsstellen und Bewerberinnen und Bewerber im Kreis Borken.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (Statistik)
Diese Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie noch einmal dadurch verstärkt, dass (persönliche) Kontakte von Schülerinnen und Schüler zu Betrieben und Unternehmen über zwei Schuljahre hinweg sehr stark eingeschränkt wurden. Digitale Angebote konnten seither zwar alternativ eingesetzt werden, jedoch haben sie den Ausfall der Vor-Ort-Praxis im Betrieb nur sehr bedingt kompensieren können.
Der oben genannte Wandel in Bezug auf Angebot und Nachfrage ist insbesondere auch in der starken wirtschaftlichen Struktur des Kreises Borken begründet. In allen wirtschaftlichen und dienstleistungsorientierten Sektoren hat hier in den Jahren nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 ein kontinuierliches Wachstum stattgefunden. Die hierfür notwendigen Fachkräfte werden primär durch eine fundierte Berufsausbildung gewonnen. Die dazu erforderlichen Ressourcen und das Engagement werden durch eine gute Ausbildungsbetriebsquote seitens der Betriebe abgerundet. Die ebenfalls notwendige Ressource Humankapital geht aufgrund der Anzahl der abgehenden Schülerinnen und Schüler seit einiger Zeit zurück. Eine leichte Trendumkehr zu größeren Schulabgängerzahlen zeichnet sich erst wieder zur Mitte des aktuellen Jahrzehnts ab.
Aufgrund der also aktuell noch sinkendem Schulabgangszahlen ergeben sich nun besondere Herausforderungen für die regionale Wirtschaft bei der Besetzung der steigenden Ausbildungsplatzressourcen. Zudem hat sich offenkundig die Haltung bei vielen Jugendlichen und Eltern in Sachen (Aus-)Bildung geändert. Wirtschaftlich schwierigere Phasen der vergangenen Jahrzehnte haben bei ihnen offenkundig zu der Auffassung geführt, dass vor allem ein höherer Bildungs- und Berufsabschluss vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg schützt. Unter anderem auch deswegen hat sich gerade in den letzten Jahren der Trend zu einem höheren Bildungsabschluss in Verbindung mit einem weiteren Schulbesuch und zur Akademisierung bei den Jugendlichen durchgesetzt. Dies befördert zwar die Deckung des entsprechenden akademischen Fachkräftebedarfs im Kreis Borken, vergrößert jedoch auch die bereits existierenden Herausforderungen bei der Besetzung der vorhandenen Ausbildungsstellen.
Neben den bisher aufgeführten Trends war der Kreis Borken von einer großen Dynamik in der Schullandschaft betroffen. Einerseits hat sich die Gesamtanzahl der allgemeinbildenden Schulen im Kreis Borken von 64 Schulen im Schuljahr 2011/12 auf 40 Schulen im Schuljahr 2021/22 reduziert. Andererseits ist die Anzahl von Gesamtschulen als großes Schulsystem mit einer gymnasialen Oberstufe deutlich gestiegen (1 in 2012 – 9 in 2020). Im Sommer 2022 werden die ersten Schüler*innen die neugeründeten Gesamtschulen mit dem Abitur verlassen. Dann wird sich auch zeigen, ob sie sich für die Aufnahme eines Studiums oder einer Ausbildung entscheiden. Hingegen ist die Zahl der Haupt- und Realschulen, die traditionell einen prozentual hohen Schüleranteil mit Übergang in eine Ausbildung haben, stark gesunken.
Absolute Veränderung der Schullandschaft 2011/12 zu 2021/22.
Quelle: Kreis Borken
Die insgesamt positiven wirtschaftlichen Strukturen im Kreis Borken bilden somit gute Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Landesvorhabens, sind zugleich aber auch Ansporn für jedes neue (zukünftige) Ausbildungsjahr.
Dementsprechend ist der aktuelle Bewerberrückgang nicht gleichzusetzen mit einem sinkenden Interesse der Jugendlichen an einer beruflichen Ausbildung. Über die enge Verbundenheit der Kommunalen Koordinierungsstelle in der Kreisverwaltung mit den beteiligten Partnern sowie regelmäßige Austauschformate der Kommunalen Koordinierungsstelle mit den 40 Schulen und 6 Berufskollegs im Kreisgebiet wird kontinuierlich und gemeinschaftlich zusammengearbeitet. Daher ist der Ausbildungsmarkt seit dem Frühjahr 2020 ein fortwährender Themenschwerpunkt in den schulischen Dienstbesprechungen mit allen Schulen und Berufskollegs.
Das Übergangsgeschehen inklusive der Erhebungszahlen aus dem Tool „Schüler-Online“ sowie Ausbildungsmarktdaten bilden jeweils die Basis der gemeinsam vereinbarten Initiativen für beruflich noch nicht ausreichend orientierte und/oder unversorgte Jugendliche. Über eine Abfrage an allen Schulen und Berufskollegs ermittelte die Kommunale Koordinierungsstelle bspw. den individuellen Unterstützungsbedarf für Jugendliche im abgelaufenen Schuljahr. Für die an Ausbildung interessierten und motivierten Jugendlichen wurden mit Unterstützung der Wirtschaftskammern wohnortnah betriebliche Praxisplätze für ihren Wunschberuf zur Verfügung gestellt. Durch intensive Beratungen und Begleitungen durch die Schulsozialarbeit, Lehrkräfte, die Berufsberatung und die Matchingberatung NRW konnten junge Menschen die betriebliche Praxis kennenlernen und in Ausbildung gehen.
Um diese und weitere konkrete Initiativen zu vereinbaren, nehmen neben den zuständigen KAoA-Schulaufsichten auch Vertretungen der Wirtschaftskammern und der Agentur für Arbeit an den Dienstbesprechungen teil. Ergänzend wird im Rahmen einer kreisweit rechtkreisübergreifenden Zusammenarbeit mit Schulen, Jugendämtern/Jugendhilfe, Jobcentern und den Arbeitsagenturen im Sinne einer Jugendberufsagentur (JBA) versucht, Übergänge der Jugendlichen durch individuelle und passgenaue Angebote zu gestalten.
Für alle beteiligten Institutionen ist bei immer knapper werdenden Ressourcen eine Übersicht zu den bestehenden Angeboten wie beispielsweise Ausbildungs- und Berufsorientierungsmessen, Berufsparcours, Unternehmen in Schulen, Ausbildungsbotschafter, Übergangsbegleitung, Matchingberatung, Berufseinstiegsbegleitung sinnvoll, um diese regional zielgruppenspezifisch abzustimmen und in Zusammenarbeit mit den Kommunen, Kammern, Bildungsträgern, Betrieben und Verbänden lokal bezogen umzusetzen. In diesem Zusammenhang wird gemeinsam mit allen Schulen und Berufskollegs in deren sehr engen Schulkalendern Freiräume für Schüler*innen mit Interesse an zusätzlichen beruflichen Praxiserfahrungen eruiert.
Um diesen Themenfeldern und Herausforderungen sowohl aktuell als auch künftig weiterhin gerecht werden zu können, tagt mehrmals jährlich die regionale KAoA-Steuerungsgruppe. Unter Vorsitz von Kreisdirektor Dr. Ansgar Hörster befördern regionale Finanzierungs- und Entscheidungsverantwortliche (Schulaufsichten, Arbeitsagentur, Jobcenter, Wirtschaftskammern, Kommunale Koordinierungsstelle) positive Synergien und treffen grundlegende Entscheidungen zur Umsetzung des Landesvorhabens KAoA. Ergänzend dazu lädt die Kommunale Koordinierungsstelle jährlich alle regionalen Kooperationspartner zu einer KAoA-Statuskonferenz ein. Weitere wechselnde themenspezifische Austauschformate im Sinne einer regionalen Verantwortungsgemeinschaft – u.a. zu beruflicher Inklusion und Integration – tragen überdies dazu bei, den Wandel des Ausbildungsmarktes im Kreis Borken gut zu meistern.
Das Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss-Übergang Schule-Beruf in NRW“ ist somit zu einem festen Bestandteil mit positiven Effekten in allen Bereichen im Kreis Borken geworden. Die in diesem Zeitraum gewonnenen Stärken gilt es nun kontinuierlich auf die zukünftigen Herausforderungen – wie zum Beispiel die Digitalisierung in der beruflichen Orientierung – auszubauen, um den jungen Menschen im Kreis Borken einen gelingenden Übergang von der Schule in eine Ausbildung oder ein Studium zu ermöglichen.
Rita Krümpelmann Quelle: Kreis Borken |
Philipp Terhart |